Kreisverwaltungsreferat (KVR): Ausländerbehörde

Veronica Loddo ist dort geboren und aufgewachsen, wohin andere in den Urlaub fahren: auf der italienischen Mittelmeerinsel Sardinien.

Kreisverwaltungsreferat (KVR): Ausländerbehörde

Veronica Loddo in ihrem Büro
LHM / © Jürgen Liebherr

Am Tag als wir uns das erste Mal treffen, hat Italien gerade die Qualifikation zur Weltmeisterschaft verpasst. Mein Gegenüber, die Italienerin Veronica Loddo, antwortet auf die Frage, ob ihr das sehr leid tue, mit einem entrüsteten „Nein!“. Italien habe wahrlich andere Probleme als Fußball, daher sollte man diesen Sport auch nicht allzu ernst nehmen, auch wenn viele ihrer Landsleute das sicher ganz anders sehen. Die studierte Politikwissenschaftlerin, die in der Ausländerbehörde des Kreisverwaltungsreferates arbeitet, meint zum Beispiel, dass die Arbeitslosigkeit bei jungen, gut ausgebildeten Leuten in Italien einfach zu hoch sei. Veronica Loddo ist dort geboren und aufgewachsen, wohin andere in den Urlaub fahren: auf der italienischen Mittelmeerinsel Sardinien. In der Hauptstadt Cagliari hat sie auch studiert und ihren Master gemacht. So schön es sei, auf der Insel Urlaub zu machen, die Jobaussichten für Berufsanfänger*innen beschreibt Loddo als katastrophal. Natürlich gebe es auch dort Stellen im öffentlichen Dienst, aber eine solche Stelle zu bekommen, sei trotz bester Ausbildung nahezu unmöglich. Allenfalls eine*r von 1.000 Bewerber*innen schaffe es in den öffentlichen Dienst.
So hat die Studentin Veronica schon vor dem Master ihre Fühler ins Ausland ausgestreckt. Mit dem europaweiten Erasmus-Austauschprogramm ging sie für zwei Semester nach Wales, in ein kleines Seebad an der Cardigan Bay mit dem unaussprechlichen Namen Aberystwyth. Einst hat dort sogar der englische Thronfolger Charles als erster Prince of Wales studiert. Die junge Italienerin vertiefte sich dort ins Europarecht.

Veronica Loddo beendete dann noch ihren Master in Cagliari. Anschließend ging sie erst nach Berlin und dann nach Saarbrücken, wo sie ein Zusatzstudium Europarecht absolvierte, das sie mit einem zweiten Master-Titel abschloss. Die nächste Station war dann München, wo Veronica in Garching im Bereich Online Marketing einen Job fand. Aber weder in Garching noch im Marketing hat sie ihre Zukunft gesehen.

Beruflicher Neuanfang bei der Stadt

Schließlich ist sie über eine Ausschreibung im Job-Newsletter zur Stadt gekommen. Die Voraussetzung für die Stelle in der Ausländerbehörde war eine juristische Ausbildung. Da kam ihr nicht nur ihr Master in Europarecht zugute, sondern auch, dass sie schon während ihres Politikstudiums viele rechtliche Schwerpunkte gewählt hatte, wie zum Beispiel Verwaltungsrecht.
Und nun arbeitet sie seit März 2017 in der Arbeitsgruppe „Duldung, Aufenthalt, Vollzug“. Auf ihrem Namensschild an der Tür ihres Büros in dem neuen Gebäude der Ausländerbehörde an der Seidlstraße steht noch etwas genauer: „Asylangelegenheiten: Aufenthaltsprüfung/Vollzug“. Seit August 2019 ist sie Teamleiterin im gleichen Bereich. Zu ihr und ihrem zehnköpfigen Team kommen die vom BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, abgelehnten Asylbewerber. Es wird dann geprüft, ob es humanitäre oder rechtliche Gründe gibt, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, zumindest vorübergehend. Andernfalls müsste eine Aufenthaltsbeendigung eingeleitet werden. Als Teamleiterin trägt sie neben der personellen auch die fachliche Verantwortung. Sie zeichnet Entscheidungsvorschläge ab, legt fest, wie neue Vorschriften oder ministeriale Anweisungen ausgelegt werden müssen. Sie bearbeitet auch schwierige Einzelfälle.

Natürlich hat es oberste Priorität, dass jeder einzelne Fall ganz genau geprüft wird. Meist kommen die Betroffenen persönlich, oft hat es das Team von Veronica Loddo aber auch mit deren Rechtsanwält*innen zu tun. Nachdem bei allen ihren Kund*innen der Ausweis, die sogenannte Gestattung, abgelaufen ist, ist zügiges Handeln geboten. Das Team Asylangelegenheiten prüft, ob eine Ausbildung angefangen wurde, ob jemand arbeitet, Familie hat und insgesamt, ob man von einer guten Integration sprechen kann. Gibt es Kinder, Ehepartner oder Krankheiten, auf Grund derer man nicht in das Herkunftsland zurückkehren kann? Das sind die Fragen, die geklärt werden müssen und die letztendlich entscheidend sein können. Spricht jemand nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland immer noch kein Deutsch, verschlechtert das natürlich die Chancen zu bleiben. Ganz schlecht stehen sie, wenn jemand straffällig geworden ist oder als Gefährder*in eingestuft wird.

Darüber, wie viele dann letztlich wirklich ausreisen oder abgeschoben werden müssen, lassen sich kaum genaue Angaben machen. Tatsächlich sind es eher wenige Fälle, die aber in den Medien viel Beachtung finden. Demonstrant*innen am Flughafen, dramatische Hilfsappelle, das sind die Bilder, die dann zu sehen sind. Dass Veronica Loddo und ihre Kolleg*innen zuvor aber sehr genau überprüft haben, ob zum Beispiel eine erfolgreiche Integration stattgefunden hat, bleibt oft unerwähnt. Das Credo der Ausländerbehörde ist, soweit es möglich ist „für die Kund*in zu handeln“. Komplizierte Fälle werden im Team diskutiert, und auf jeden Fall mit der Teamleiterin besprochen. Aber, und darüber merkt man Frau Loddo durchaus die Erleichterung an, bisher gab es nur wenige kritische Fälle, die sie anhaltend beschäftigt hätten.

Nichts geht ohne Sprachkenntnisse

Veronica Lodd an ihrem Schreibtisch mit einer Kundin
LHM / © Jürgen Liebherr

Das Asylrecht ist nicht nur kompliziert, es ändert sich auch laufend. Zum Beispiel der Status der sogenannten sicheren Herkunftsländer. Denn wer ursprünglich aus so einem Land gekommen ist, braucht sehr gute Gründe, um in Deutschland bleiben zu können. Aktuelle Informationen zum Asylrecht bekommt Veronica Loddo natürlich immer sofort, ansonsten ist ihre Informationsquelle, ihre „Bibel“, das Gesetzbuch „Ausländerrecht“, das sie immer in Griffweite auf ihrem Schreibtisch liegen hat. Es gucken viele bunte Einmerker heraus, ein eindeutiges Indiz dafür, dass sie intensiv damit arbeitet.

Wenn Veronica Loddo über ihre Arbeit spricht, hört man gleich ihren Sinn für Gerechtigkeit und ihr politisches Verantwortungsbewusstsein heraus. Insofern ist sie beim Kreisverwaltungsreferat in ihrem Sachgebiet genau an der richtigen Stelle. Es ist sicher alles andere als eine leichte Arbeit, aber vielleicht trägt zum Gelingen bei, dass sie selbst Migrantin ist. Denn sie braucht viel Feingefühl und Empathie für die Menschen, deren weiteres Schicksal sie in Händen hält. Sie kann aus eigener Erfahrung nachvollziehen, wie es ist, in einem Land weit weg von der Heimat Fuß zu fassen. Und natürlich hat sie auch gelernt, dass es unmöglich ist, in einem anderen Land anzukommen, wenn man die Sprache nicht spricht.

Die Amtssprache in der Ausländerbehörde ist natürlich Deutsch, aber wenn Loddos Gegenüber kein Deutsch spricht, darf auch ein*e Dolmetscher*in anwesend sein. Schließlich geht es um sehr feine Nuancen oder sensible Sachverhalte, bei denen es nicht zu Verständnisproblemen kommen sollte. Zur Überraschung von Veronica Loddo ist auch ihr Italienisch sehr gefragt, denn nachdem viele Asylsuchende über Italien nach Europa gekommen sind, haben einige dort schon eine Weile gelebt und die Sprache gelernt.

Wie hat Veronica Loddo selbst die deutsche Sprache gelernt? Natürlich hat sie Kurse besucht, aber auch der Kontakt mit Deutschen habe ihr sehr geholfen. Sie ist ehrgeizig und hat viel Freude an Sprache. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass ihr das Erlernen einer Sprache eher leicht fällt. Auch wenn sie mit einem charmanten italienischen Akzent spricht, macht sie doch keine grammatikalischen Fehler und auch ihr Vokabular ist beachtlich. Schließlich braucht sie für ihre tägliche Arbeit auch viele Fachbegriffe, wie zum Beispiel „Aufenthaltsgestattung“, die ihr selbst im Italienischen nicht immer geläufig sind. Aber, und das weiß sie mittlerweile aus eigener Erfahrung, Fachvokabular zu lernen ist relativ einfach, schwieriger ist es, die Nuancen einer Sprache zu beherrschen. Da hilft natürlich auch, dass sie privat hauptsächlich Deutsch spricht.

Die Sardin fühlt sich in Deutschland und in München gut integriert und angekommen. Sie hat eine anspruchsvolle und erfüllende Arbeit und eine schöne Wohnung. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis ist bunt gemischt: Das sind nicht nur Deutsche und Bayer*innen, sowie Landsleute aus Italien, ihre Bekannten kommen auch aus der Türkei, Bulgarien, Kroatien und Ungarn. „Für mich ist der Austausch mit Menschen aus anderen Kulturen, die zu meinem Freundeskreis gehören, eine große Bereicherung. Ich kann unendlich viel lernen“, meint sie.

Trotzdem vermisst Veronica in Deutschland das Meer, das schöne Wetter und ganz besonders ihre Familie, die sie gerne häufiger sehen würde. Aber viel mehr als ein Wiedersehen im Urlaub ist bei den 1.300 Kilometer Entfernung München – Cagliari nicht drin.

Veronica Loddo kennt natürlich auch den Bestseller „Maria, ihm schmeckt's nicht“, die Geschichte des deutschen Journalisten Jan Weiler, der mit einer Italienerin verheiratet ist und von einigen kulturellen Verwirrungen erzählt. Darauf angesprochen lacht sie herzhaft und erzählt, dass ihr schon ein paar kulturelle Unterschiede auffallen: In italienischen Alltagsgesprächen sei das ständige Unterbrechen des Gegenübers ein weit verbreitetes Phänomen. Sie hat schnell bemerkt, dass das in Deutschland als unhöflich gilt. Und: „Die Italiener schreien am Telefon. Wir ereifern uns, wir echauffieren uns, und vor allem gestikulieren wir sehr viel. Die Deutschen sind viel ruhiger während ihrer Gespräche“, stellt sie fest.
Sie selbst sei auch eher unbekümmert und laut. Also typisch italienisch? Nicht unbedingt, denn anders als die meisten ihrer Landsleute mag sie keinen Wein und keinen Käse. Klischees von typischen nationalen Eigenschaften kommen, wenn es um echte Menschen geht, eben ganz schnell an ihre Grenzen.

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