Mit Glück und Fleiß
Brigitte Sebureze kam mit 19 Jahren als Stipendiatin nach Deutschland, aus dem krisengeschüttelten Ruanda. Heute ist sie Projektmanagerin im IT-Referat.
Brigitte Sebureze | IT-Referat
Wäre sie nur ein halbes Jahr später von Ruanda nach Deutschland geflogen, hätte sich ihr Leben mit Sicherheit komplett anders entwickelt. Aber Brigitte Sebureze hatte Glück, unglaubliches Glück im Unglück. 1994 ereignete sich in Ruanda, Zentralafrika, etwas unfassbar Schreckliches. Fast eine Millionen Menschen wurden innerhalb von nur 100 Tagen ermordet, teilweise von ihren eigenen Nachbarn. Die Gräueltat an der Bevölkerungsgruppe der Tutsi ist bis heute der letzte große Völkermord in der Geschichte der Menschheit.
Doch dank eines Stipendiums der Carl-Duisberg-Gesellschaft hatte Brigitte Sebureze schon vor dem Genozid ein Flugticket nach Deutschland in der Tasche. Und so bekam sie die Zeiten des Chaos und des Schreckens nur aus der Ferne mit. Wobei das nicht ganz so stimmt: Denn natürlich war ihre Familie betroffen. Die Eltern flohen in den Wirren des Krieges aus Ruanda, Vater und Mutter landeten dann nach einer Flüchtlings-Odyssee in zwei getrennten Welten: Die Mutter verschlug es in den Senegal, den Vater nach Belgien. Die vier älteren Geschwister lebten dann nach jahrelanger Flucht in Holland, Belgien und in den USA.
„Ich hatte einfach Glück“, sagt Brigitte Sebureze, als sie auf das Auslandsstipendium angesprochen wird. Einen Satz der noch mehrmals fallen wird… Doch natürlich steckt mehr dahinter. In Ruanda konnte sie als Jugendliche das Gymnasium besuchen. Das Internat war fünf Autostunden von zuhause entfernt. Und so war Brigitte immer wieder für drei Monate allein auf sich gestellt, ohne Familie. Trotzdem war das ein Privileg. „Ja, klar ich hatte schon auch gute Noten. Und ich glaube, man könnte mich im Rückblick schon als Streberin bezeichnen“, sagt Brigitte Sebureze. Das gute Abitur verhalf ihr letztendlich zu einer besonderen Prüfung in der Hauptstadt Kigali. 500 Bewerber*innen kämpften um eines der fünf Stipendien für einen Deutschland-Aufenthalt. Dabei ging es um technisch-ausgerichtete Studienplätze, um das Ingenieursstudium. Brigitte, am besten französisch ausgesprochen, hatte wieder „Glück“ sowie gute Prüfungsergebnisse und durfte schon kurze Zeit später nach Deutschland fliegen.
Studium in einer Männerdomäne
Erste Anlaufstelle war Neumünster in Schleswig-Holstein. Hier lernte sie ein halbes Jahr Deutsch, machte 1994 ein technisches Praktikum und holte offiziell die Hochschulreife nach. Damit hatte sie 1995 das Rüstzeug für das folgende Studium der Elektrotechnik und Nachrichtentechnik an der Gesamthochschule Wuppertal. Im Jahr 2000 hatte sie ihr Diplom in Tasche, als einzige Frau unter 80 Männern. „Ich bin nicht empfindlich und kann mich ganz gut durchboxen“, antwortet sie trocken und gleichzeitig lächelnd auf die Frage, ob der Männerüberhang problematisch war. All die Jahre in Deutschland hatte sie zudem auch zwei positive Konstanten: Zum einen war sie bei einer netten Familie untergebracht, mit der sie noch heute Kontakt hat. Zum anderen hatte sie ihre beiden Wegbegleiter, Kommilitonen, die mit ihr zusammen aus Ruanda gekommen waren und ebenfalls an der Hochschule studierten.
Nach dem Ende des Studiums, im Jahr 1999, war eigentlich vorgesehen, dass alle Stipendiaten wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten. Doch die Entscheidung war – das kann man sich vorstellen – schwierig. Zurück nach Ruanda? In ein zerrissenes Land, eine ungewisse Zukunft? Brigitte Sebureze brauchte ein Jahr zum Nachdenken.Dann entschied sie sich, es zu versuchen, dass sie in Deutschland bleiben kann.
Die Aufenthaltsgenehmigung war aber an das Studium gekoppelt. Und so schrieb sie sich für das Aufbaustudium „Wirtschaftswissenschafts-Ingenieur“ ein. Aus pragmatischen Gründen, aber auch aufgrund ihres großen Wissensdurstes.
Unterstützt wurde sie bei allen Entscheidungen, bei ihrem studentischen Fortkommen, von einem Mentor, ihrem Hochschul-Professor. Er bestärkte sie und half ihr schließlich auch drei Semester später nach dem erfolgreichen Zweitabschluss endgültig in Deutschland zu bleiben. „Auch hier war ich wieder ein Glückskind“, sagt Brigitte Sebureze. „Dank der Hilfe meines Profs und viel Glück hatte ich schon nach drei Monaten eine positive Antwort auf meinen Asylantrag. Andere müssen da oft Jahre darauf warten …“
In der Phase des Aufbaustudiums passierte dann auch etwas nicht ganz „Unwichtiges“ – was Brigitte Sebureze im Eifer des Gesprächs über ihren beruflichen Werdegang fast vergessen hätte: Sie lernte ihren zukünftigen Ehemann Deogratias Sebureze kennen. In Köln ist das Zentrum der ruandischen Community. Und bei einem Treffen des „Deutsch-ruandischen Kulturvereins“ freundete sie sich mit ihm an. Und es wurde mehr daraus.
Jobstationen in München bei der Stadt
2002 bekam ihr Mann ein Jobangebot als Wirtschaftsberater in München. Das Paar beschloss den Schritt in Richtung Süddeutschland zu wagen. Zumal Brigitte Sebureze aufgrund ihrer Qualifikationen zuversichtlich war. Schließlich gab es im Großraum München genug große Firmensitze wie von der Deutschen Bahn, Siemens oder BMW. Parallel bewarb sie sich auf mehrere Stellenanzeigen. Die Landeshauptstadt München (LHM) schrieb in der Süddeutschen Zeitung eine Stelle für einen Planungsingenieur für Netzwerktechnik aus. Nach der Bahn kam dann von der LHM schon gleich die zweite Einladung für ein Vorstellungsgespräch. „Ich hatte wieder super Glück. Nach zwei bis drei Tagen kam schon die Zusage“, sagt sie. Und so arbeitete sie sechs Jahre im Baureferat, im Bereich Telefonie und Netzwerk. Also in dem Bereich, der später in das IT-Referat beziehungsweise zuerst zu „it@M“ ausgegliedert werden sollte. Die Aufgaben wurden mit der Zeit immer komplexer und die Diplom-Ingenieurin merkte, dass ihr Planung und Projektleitung am meisten Spaß machten.
In der Folgezeit wechselte sie dann als Projektleiterin ins Direktorium. Das dort angesiedelte Programm „MITKonkret“ sollte zu dieser Zeit die städtische IT grundlegend optimieren. Brigitte Sebureze betreute in diesem Zuge das Projekt „CMDB“, ein neues System zur Verwaltung von IT-Komponenten. Drei Jahre später kümmerte sie sich dann im neu gegründetem IT-Ableger it@M um die städtische IT-Infrastruktur. Weitere Schritte waren das Multiprojektmanagement im IT-Referat und seit 2019 die Projektsteuerung mit einzelnen städtischen Referaten, konkret mit dem Personal- und Organisationsreferat. „Meine Arbeit macht mir wirklich Spaß“, sagte Brigitte Sebureze. „Projektleitung heißt immer: Steuern, Managen, aber auch mit den Menschen zusammenzuarbeiten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Nur eine Idee zu haben, die immer weiter reift, bis am Ende eines Projekts das Ziel erreicht ist.“ Und da sie Routine „hasst“, bieten ihr Projekte eben immer neue Inspirationen.
Heute lebt Brigitte Sebureze mit ihrem Mann in einem kleinen Dorf in der Nähe von Landsberg am Lech. Das Pendeln fällt ihr nicht schwer. Den Weg mit der Bahn von gut einer Stunde nimmt sie gern in Kauf. Denn auf dem Land konnte sich das Ehepaar schließlich ein Haus leisten. Man ist schnell in der Nähe der Allgäuer Berge und Seen, die Verbindung nach München sehr gut. Typische Urlaubsreisen gibt es bei den Beiden eher selten. Denn Brigitte Sebureze besucht gern und häufig die weit verstreut wohnenden Verwandten: Den Vater und die Schwester in Belgien, die andere Schwester in den Niederlanden, die Tante in Frankreich, Straßburg und wieder andere in der alten Heimat Köln.
Die meisten Verbindungen zu Afrika, Ruanda sind abgebrochen. Vielleicht macht ihr deswegen ihr jüngstes Hobby im Sinne einer Reminiszenz so viel Spaß: Brigitte Sebureze näht oft und viel mit bunten Stoffen aus Afrika. Die Kleidungsstücke trägt sie selbst oder verschenkt sie an die Verwandtschaft. „Aber vielleicht nähe ich auch so gerne, weil das relativ rasch geht, weil das ein schnelles Erfolgserlebnis ist.“ Sagt die jugendlich wirkende 50-Jährige. Und ergänzt mit einem schelmischen Lachen und Augenzwinkern: „Sie wissen ja städtische Projekte dauern im Vergleich dazu eine Ewigkeit ...“