Gleichstellung für wirklich alle

Zara Jakob Pfeiffer arbeitet in der Gleichstellungsstelle für Frauen und setzt sich für Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein.

Zara Jakob Pfeiffer | Gleichstellungsstelle für Frauen

Zara Jakob Pfeiffer Portrait

Zara Jakob Pfeiffer begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln und bietet uns erstmal das „Du“ an. Wir nehmen an einem runden Tisch Platz, in einem Büro mit prall gefüllten Bücherregalen. Wissenschaftliche, philosophische und politische Bücher zum Thema Gleichberechtigung bis unter die Decke. Kurz zuvor, im Vorzimmer der Gleichstellungsstelle im Rathaus am Marienplatz, hatte eine freundliche Kollegin schon darauf hingewiesen, dass man in Bezug auf Jakob bitte keine Pronomen benutzen sollte. Also weder „er“ oder „sie“ sagen, wenn man mit Jakob zu tun hat, sondern einfach den Namen verwenden – ohne Herr oder Frau. Denn Zara Jakob Pfeiffer ist nicht-binär, das heißt, weder männlich noch weiblich, oder auch beides.

Wir bitten gleich am Anfang vorsichtshalber um Entschuldigung, falls uns doch mal ein Pronomen rausrutscht. Unser Gegenüber reagiert ganz entspannt und sagt: „Ich weiß, dass es für viele ungewohnt ist, den Namen, statt Pronomen zu verwenden. Ich glaube es hilft, diese Unsicherheit zu benennen. Fehler passieren, aber mit ein bisschen Übung wird das leichter.“ Zuerst wollen wir wissen, welche Aufgaben Jakob in der Gleichstellungsstelle hat. Da geht es um Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt, vor allem um Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Jakob beschäftigt sich auch mit Inklusion und Geschlecht, der Frage von Genderkompetenz in der Stadtverwaltung und dem Thema LGBTIQ*, soweit es die Gleichstellungsstelle betrifft. „Was sehr häufig passiert“. Dazu kommt der Themenbereich Kunst, Kultur, Wissenschaft und Geschichte, aber auch hier nur in Bezug auf die Geschlechterperspektive. Es ist nicht zu überhören, dass Jakob diese Themen wirklich am Herzen liegen.

Jakob kooperiert aber auch mit vielen Kolleg*innen quer durch die Referate und Eigenbetriebe und unterstützt sie mit Fachwissen. „Mir ist es ein großes Anliegen, diese Geschlechterthemen verstehbar zu machen.“ Dabei geht es laut Jakob bei Genderkompetenz nicht nur um das Setzen eines Gendersternchens an der richtigen Stelle. Genderkompetenz ist nicht nur eine Fachkompetenz, sondern auch eine Haltung von Offenheit und Respekt gegenüber Frauen, Männern und Personen weiterer Geschlechter. Jakob ist es besonders wichtig, dass Menschen der LGBTIQ*-Community auch sichtbar werden. Niemand soll sich verstecken oder verstellen müssen. Und das möchte Jakob selbst auch nicht.

„Das Telefonbuch kannte nur Mann und Frau“

Zara Jakob Pfeiffer Tisch

Gleichstellungsarbeit ist oft nicht selbstverständlich, sondern muss erklärt und auch gegen Widerstände durchgesetzt werden. Die Kämpfe, die Zara Jakob Pfeiffer im Joballtag ausfechten muss, haben immer wieder auch mit der seit 2018 gesetzlich eingeführten dritten oder vierten Geschlechtsoption zu tun, die nun gleichberechtigt neben männlich und weiblich gültig ist. Die Verwaltung ist verpflichtet, sie umzusetzen. „Diese Umsetzung fachlich zu begleiten und gleichzeitig selbst betroffen zu sein, ist einerseits eine große Chance, kann aber auch herausfordernd sein. Die ganze Welt und auch die Verwaltung ist binär ausgelegt. Das braucht Zeit und lässt sich nicht immer von heute auf morgen ändern.“ Immer wieder fallen Jakob Fehler auf. Das kann ein Formular sein, bei dem man nur männlich oder weiblich ankreuzen kann, obwohl laut Gesetz die Optionen „divers“ und „keine Angabe“ möglich sein müssen. Wenn solche Fehler aus Unachtsamkeit passieren, kann es für Betroffene schmerzhaft sein. Denn es ist für jeden Menschen wichtig, gesehen und in seinem Sosein angenommen zu werden.

Auch der eigene Eintrag im internen digitalen Telefonbuch der Stadtverwaltung hat Zara Jakob Pfeiffer eine ganze Weile beschäftigt. „Ich wurde noch lange Zeit als Frau im städtischen Telefonbuch geführt, obwohl mein Geschlechtseintrag schon offiziell gestrichen war. Das Telefonbuch kannte damals nur Mann und Frau.“ Es hieß einfach nur, dass es nicht geht –aber natürlich geht es, es muss nur gewollt sein. Doch schließlich hat ein Kollege aus dem IT-Referat das Anliegen verstanden und das Telefonbuch wurde geändert. „Es war einfach wichtig und richtig“, sagt Jakob.

Jakobs eigener Lebensweg zeigt, wie schwer es sein kann, in einer Gesellschaft, die nur männlich und weiblich kennt, den eigenen Weg zu finden. Vor allem, wenn man merkt, dass man anders ist und in kein Schema hineinpasst. 1980 in München als mittleres Kind neben zwei Schwestern geboren, fühlte sich Jakob schon als kleines Kind nie als Mädchen und kleidete und verhielt sich mehr wie ein Junge. Zum Schulstart war der größte Wunsch ein blauer Schulranzen. Doch die Mutter kaufte einen in Rosa. „Damit in der Schule gleich klar ist, dass Du ein Mädchen bist“, sagte sie später. Der rosa Schulranzen, die Kleider, in die Jakob gezwungen wurde, und die ganzen anderen Versuche Jakobs Geschlechtsausdruck zu verändern waren, schmerzhaft und mit großer Scham verbunden.

„Ich bin nicht richtig auf dieser Welt“

In der Pubertät wurde es dann noch schlimmer: „Ab da war das Leben für mich schrecklich und anstrengend. Da habe ich gemerkt, ich bin nicht richtig auf dieser Welt.“ Der Körper veränderte sich, aber in die total falsche Richtung. Jakobs Rettungsanker war damals das politische Engagement. Es waren die 90er Jahre, mit rassistischen Anschlägen, brennenden Asylbewerber*innenheimen und der „Lichterkette“ in München. Jakob erinnert sich: „An der Schule sind wir aufs Schuldach geklettert und haben Transparente runtergelassen. Wir wollten einfach eine bessere Welt, weniger Rassismus, weniger Nazis, weniger Krieg.“

Mit 18 Jahren hat sich Jakob als lesbisch geoutet. Dieses Coming-out hat sich aber noch nicht so ganz richtig angefühlt. Die große Schwester hat damals gelacht und gesagt: „Und ich dachte immer, du bist trans.“ Nach dem Abitur hat Jakob Politikwissenschaften studiert und daneben freiberuflich rassismuskritische Bildungsarbeit gemacht. 2002 ging es auf Solidaritätsbrigade nach Nicaragua und im Jahr darauf nach El Salvador. Dazu kamen Forschungen zu Münchens Kolonialgeschichte, zur Protestgeschichte von München, der Münchner Frauenbewegung und die Mitarbeit an der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in München.

Wenig später hat Jakob die große Liebe kennengelernt, eine Ärztin. Einige Jahre später verpartnerten sich die beiden. Heiraten war damals für zwei Frauen noch nicht möglich. „Meine Frau war davor eigentlich nicht lesbisch. Aber es hat sich trotzdem irgendwie ergeben,“ erzählt Jakob. „Sie geht jeden Weg mit mir – und ich mit ihr. Sie ist ein großes Glück!“

2013 begann Jakob in Teilzeit bei der Landeshauptstadt München als Mädchenbeauftragte im Pädagogischen Institut. Fünf Jahre später wechselte Jakob, damals noch Zara, zur Gleichstellungsstelle für Frauen. „Soweit ich weiß, war ich die erste offene Lesbe, die in der Gleichstellungstelle für Frauen gearbeitet hat.“ Schon im ersten Jahr in der Gleichstellungsstelle zeichnete sich ab, dass das Leben als Frau und Lesbe für Jakob überhaupt nicht mehr stimmte. „Ich habe schon immer gesagt, dass ich keine Frau bin, aber das wurde oft nicht gehört.“ Sich selbst ernst zu nehmen und diesen Weg in voller Konsequenz tatsächlich zu gehen, hat erst mal das ganze Leben auf den Kopf gestellt. Jakob outete sich als trans und nicht-binär, ließ den Geschlechtseintrag streichen und schließlich auch die Brust entfernen. „Diese OP hat alles verändert. Ich bin angekommen in meinem Körper und kann ihn jetzt sehen.“

Die Gleichstellungsstelle war bis zum Coming-out von Jakob ein Bereich, in dem nur Frauen arbeiteten. Dass diese plötzlich einen nicht-binären Menschen in ihren eigenen Reihen haben sollten, damit hatte niemand gerechnet. „Es war für meine Kolleginnen nicht leicht mit der neuen Situation klarzukommen“, sagt Jakob. Die Gleichstellungsstelle war immer ein Frauenraum. Es gab viele Fragen und auch Anfeindungen von außen. Es gab aber auch viel Unterstützung. „Es ist ein Prozess der Zeit braucht“, sagt Jakob.

Ein Verkäufer der Zeitschrift „Biss“ hat Jakob mal gefragt: „Bist du ein Mann oder eine Frau?“ Jakob antwortete. „Es geht halt auch, beides nicht zu sein.“ Jakob hätte auch „Beides zu sein“ antworten können. „Ich habe das Gefühl, es wechselt auch irgendwie. Es gibt Momente, da sage ich ok, da gibt es so etwas mehr Männliches. Und dann gibt es wieder Momente, wo ich denke, geht gar nicht.“ Jakob will dennoch das trans* Sein nicht weghaben. „Weil es die mutigste und wichtigste Entscheidung in meinem Leben war. Trans*sein ist auch ein Geschenk. Ich habe mich selber noch mal anders kennengelernt und vielleicht auch eine andere Ebene von Weltverstehen für mich erreicht“, sagt Jakob. Es kann aber auch sehr anstrengend sein, es immer wieder erklären zu müssen, was nicht-binär bedeutet. „Zara war ganz lange mein Name. Irgendwann war klar, dass es Jakob ist und ich wollte aber Zara auch nicht aufgeben, weil ich dachte, irgendwie brauche ich beide. Aber der Rufname ist Jakob.“

Kettensägen und Kajakfahren

Zara Jakob Pfeiffer Hund

Jakob sagt, dass sich der Begriff „queer“ immer schon stimmig angefühlt habe: „Queer war immer mein Wort und nicht lesbisch. Queer ist ein total komplexer Begriff und für mich war queer, dass man nicht in irgendwelche Kategorien reinpasst.“ Den Begriff nicht-binär gab es damals noch nicht, aber als er vor ein paar Jahren aufkam, fühlte sich das für Jakob genau richtig an. Vierzig Jahre das eigene Leben nicht richtig gelebt zu haben und dann darin anzukommen, das war unbeschreiblich.“ Nachdem es gesetzlich möglich war, ließ Jakob den eigenen Geschlechtseintrag streichen. „Für mich war klar, ich bin nicht divers, ich will diese Geschlechtszuschreibungen einfach weghaben. Es sollte nichts dastehen.“

Nach dem nicht-binärem Coming-out war erst mal nicht klar, ob Jakob in der Gleichstellungsstelle für Frauen bleiben kann. „Ich sagte: Ok wir probieren jetzt einfach, ob das geht oder nicht.“ Und es ging, denn die Gleichstellungsstelle hörte auf, nur von Frauen und Männern zu reden, und sprach nun von Frauen, Männern und Menschen weiterer Geschlechter. „Jetzt hatte ich das Gefühl, es ist akzeptiert, dass es nicht-binäre Menschen gibt. Ich könnte diese Arbeit nicht machen, wenn ich ständig so tun müsste, als würde es Menschen wie mich nicht geben.“ Heute sind diese Unsicherheiten weitgehend Vergangenheit. Jakob ist angekommen: „Ich arbeite sehr gerne in der Gleichstellungsstelle und es gibt bei der Stadt wunderbare Kolleg*innen, mit denen ich sehr gerne zusammenarbeite. Es ist gleichzeitig herausfordernd und ein Privileg, an dieser Stelle zu diesen Themen zu arbeiten.“

Die Freizeit verbringt Jakob gerne in der Natur. Gerne auch allein, nur in Begleitung von Husky Lima oder unterwegs mit einem Oldtimer-Geländewagen, einem „Land Cruiser“ von 1978. Das Ziel ist oft ein kleiner Wald in der Nähe von München. Dort steht ein Bauwagen, der perfekte Rückzugsort. „Dort kann ich schlafen oder mit der Kettensäge werkeln.“ Auch Kajakfahren auf den oberbayrischen Seen tut Jakob immer wieder sehr gut. „Am allerliebsten allein, zum Beispiel im Winter, wenn es sehr einsam ist.“ In der Einsamkeit muss sich Jakob niemanden erklären und kann ganz bei sich selbst sein.

Ähnliche Artikel

This is a carousel with rotating cards. Use the previous and next buttons to navigate, and Enter to activate cards.

Gestalter für die Stadt

Vor 12 Jahren kam Fan Yang aus China nach München, um Landschaftsarchitektur zu studieren. Heute arbeitet er im Baureferat, um die Stadt lebenswerter zu machen.

Mit Glück und Fleiß

Brigitte Sebureze kam mit 19 Jahren als Stipendiatin nach Deutschland, aus dem krisengeschüttelten Ruanda. Heute ist sie Projektmanagerin im IT-Referat.

Im Einsatz für Kinder und Migrant*innen

Dimitrina Lang ist vor 24 Jahren aus Bulgarien nach München gekommen, um ihren Studienabschluss zu machen. Heute arbeitet sie als Sozialpädagogin im Stadtjugendamt.

Abenteuer Erzieher

Daniel Yanes machte vor fünf Jahren einen gewagten Schritt: Der Spanier kam von Teneriffa nach München, um hier als Erzieher zu arbeiten.

Von Damaskus ins Münchner Jobcenter

Fadi Alshash arbeitet im Jobcenter. In seinem früheren Leben in Syrien war er Anwalt. Mit Glück, Fleiß und Hilfe hat er es geschafft, ein neues Leben aufzubauen.