Abenteuer Erzieher

Daniel Yanes machte vor fünf Jahren einen gewagten Schritt: Der Spanier kam von Teneriffa nach München, um hier als Erzieher zu arbeiten.

Jose Daniel Yanes Sanabria | Erzieher in einer städtischen Kita

Jose Daniel Yanes Sanabria, Erzieher
Foto: Jürgen Liebherr
Jose Daniel Yanes Sanabria, Erzieher

Luka weint. Immer wieder ein leises Schluchzen. Aus der kleinen Nase läuft auch schon der erste dicke Tropfen. „Er ist erst seit einer Woche bei uns – und er bekommt Backenzähne. Das ist echt hart“, sagt Jose Daniel Yanes Sanabria. Der Erzieher nimmt den Zweijährigen auf den Arm und tröstet ihn. Das Kind wird von Minute zu Minute ruhiger.

Es ist 8.30 Uhr, ein ganz normaler Mittwochmorgen in der städtischen Kinderkrippe in der Grafinger Straße. Alle Mütter und Väter haben ihre Kleinen rechtzeitig gebracht, die Erzieher*innen haben dabei ihre obligatorische Anwesenheitsliste erstellt und der Tag kann starten. Die Einrichtung im Münchner Osten ist relativ neu, in freundlichen Farben gestrichen und es gibt viel Platz für die 72 Kinder.

Daniel Yanes ist jetzt seit fünf Jahren in Deutschland. Der gebürtige Spanier machte damals – für einen 25-Jährigen – einen gewagten Schritt: „Wenn ich den Leuten hier erzähle, dass ich meine Heimat Teneriffa für einen Job in Deutschland verlassen habe, schauen immer alle ganz ungläubig“, sagt er. Viele würden wohl denken, wie könne man nur diese paradiesische Insel mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 21 Grad verlassen, um ins kalte Deutschland zu gehen. Doch Daniel Yanes hat sofort eine Erklärung: „Ich mag München wirklich. Hier ist alles sauber und gepflegt. Außerdem liegt es geografisch einfach perfekt: Man ist schnell in Tirol, in Salzburg, aber auch in Nürnberg oder am Bodensee.“

Neuanfang in Deutschland

Doch natürlich gab es ganz pragmatische Gründe einen Neuanfang zu wagen. Denn in Spanien gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und es ist gar nicht so leicht als Erzieher Arbeit zu finden. Es gibt verhältnismäßig viele Erzieher*innen - und diese müssen dann mit wenig Personal viele Kinder betreuen. Der Betreuungsschlüssel in Deutschland ist zwei- bis dreimal so groß. Auch die Bezahlung ist in Spanien vergleichsweise schlecht. Viele Fachkräfte verdienen dort nur etwa 1.300 Euro im Monat, also deutlich weniger als in Deutschland. Also ließ sich Yanes vor fünf Jahren von einer spanischen Vermittlerfirma rekrutieren, die die komplette Organisation für die Akquise neuer Erzieher*innen für Deutschland übernahm. In sechs Monaten machten 13 Spanier*innen zuerst in Madrid einen Sprach-Crash-Kurs: Jeden Tag fulltime die deutsche Sprache lernen, um am Ende das B2-Zertifikat geschafft zu haben. Dann wurden die elf Frauen und zwei Männer in die kooperierenden AWO-KITAs verteilt. Insgesamt kamen acht nach München. Mit einigen Kolleg*innen hat Yanes noch immer guten Kontakt. Zwei Erzieherinnen sind seine besten Freundinnen. Natürlich waren die ersten Tage in München nicht ganz einfach: Ein neues, fremdes Land. Und es gab Unsicherheiten, wo genau die Spanier*innen arbeiten und wohnen würden. Aber in erster Linie hat sich Daniel Yanes auf die neue Stadt gefreut: „Ich bin bei so etwas offen und flexibel – und ich liebe Abenteuer.“

In der Grafinger Straße haben sich die Kinder mittlerweile auf die verschiedenen Räumlichkeiten verteilt. Eine größere Gruppe frühstückt zusammen mit zwei Erzieher*innen. Andere tollen auf dem Gang herum oder sind im Spielzimmer. In der städtischen KITA schätzt man das offene Betreuungs-Konzept. Es gibt also nicht die früher oft üblichen, festen Gruppen, wo Kinder immer die gleichen Personen in „ihrem“ Raum sehen. „Ich finde, die Kinder werden dadurch viel freier, mutiger. Sie trauen sich schon bald in andere Räume zu gehen, sie werden selbständiger“, sagt Daniel Yanes, der jetzt seit zwei Jahren bei der Stadt München angestellt ist.

Als es etwas komisch riecht, fragt er, ob einer der Kleinen „Kacki“ gemacht hätte. Und er geht dann mit einem eineinhalbjährigen Mädchen auf die Toilette zum Windeln wechseln. Die Frage, ob das der unangenehme Teil seines Berufes sei, beantwortet Yanes zuerst nur mit einem Lächeln. Nach kurzem Nachdenken sagt er noch, dass er sich immer als Helfer der Kleinen sehen würde. Und dieser Teil der Arbeit mache ihm gar nichts aus, gehöre eben dazu.

"Kleine Menschen, wie wir, die gute und schlechte Tage haben"

Jose Daniel Yanes Sanabria, Erzieher
Foto: Jürgen Liebherr
Daniel Yanes mit den Kindern beim Frühstücken

Natürlich gibt es auch Tage, an denen es nicht ganz so entspannt zugeht, wie an diesem Mittwochvormittag. Gerade wenn die Kinder besonders viel Aufmerksamkeit brauchen, kann es auch mal anstrengend werden und sie kommen an ihre Grenzen. „Aber das sind halt auch kleine Menschen, wie wir, die gute und schlechte Tage haben“, sagt Daniel Yanes.

Der kleine zahnende Luka kommt wieder zu ihm, um ein zweites Mal getröstet zu werden. Diesmal beruhigt sich der Kleine noch schneller als zuvor im Arm von Yanes. Wie ist es eigentlich als Mann, Erzieher zu sein – gibt es da von irgendwelchen Seiten komische Fragen? „Also hier in dieser Einrichtung ist das überhaupt kein Thema“, sagt der Spanier. „Aber früher hat man mir schon mal zu verstehen gegeben, dass das doch ein Frauenberuf sei.“ Oder eine Mutter hatte ihn mal angesprochen, dass sie eigentlich nicht möchte, dass ein Mann ihre Tochter wickele. Daniel Yanes erklärte ihr dann, dass das Teil seiner ganz normalen Arbeit sei. Es gäbe da keine Ausnahmen. Und notfalls müsse sie sich tatsächlich eine Krippe suchen, in der es keine männlichen Erzieher gäbe. Der Spanier mag weder solche Rollenbilder noch Vorurteile. Er findet, dass es leider immer noch viel zu wenig männliche Erzieher gebe. „Man darf nicht vergessen: Hier in der Grafinger Straße gibt es ja sogar glücklicherweise zwei Männer. Mich und den Kollegen, der jetzt gerade im September angefangen hat“, sagt Yanes. Aber woanders gibt es eben gar keinen Erzieher in einer Krippe. Kinder bräuchten doch genauso auch die männliche Seite für eine ausgeglichene Erziehung.

Auch die Einrichtungsleiterin sieht nur die positiven Seiten ihrer beiden Männer: „Zum einen gehen sie tatsächlich in manchen Situationen anders mit den Kindern um. Beispielsweise beim Herumtollen, da ist es wilder“, sagt Evangelia Sariparoglou. Da seien die männlichen Erzieher gerade für die Jungs auch schon ein direktes Vorbild. Aber noch viel wichtiger findet sie eigentlich deren andere, übergeordnete Vorbildfunktion: Dass es in unserer Gesellschaft keine Rolle spielen sollte, ob man als Mann oder Frau mit Kindern arbeitet. Denn die Werte seien immer die gleichen. Die Kinder stehen immer an erster Stelle.

Pädagogisches Fachpersonal – verzweifelt gesucht

Dass in Deutschland, in Bayern händeringend pädagogisches Fachpersonal gesucht wird, ist bekannt. Bei der Stadt München hat man daher schon vor rund zehn Jahren auf Personalgewinnungsprojekte im EU-Ausland gesetzt. Aktuell läuft ein Kooperationsprogramm mit der Uni in Barcelona. Parallel dazu gibt es ein Projekt der Agentur für Arbeit und dem Landkreis München. Spanier*innen werden durch die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung rekrutiert und vermittelt. Innerhalb des letzten Jahres konnten dadurch neun neue Fachkräfte für die Landeshauptstadt gewonnen werden. Kira Otremba vom Referat für Bildung und Sport, Geschäftsbereich KITA betreut die Personalgewinnungsprojekte im Ausland. Sie sagt, man hätte überwiegend positive Erfahrungen mit den spanischen Fachkräften: „Sie sind sehr motiviert, professionell und arbeiten wirklich mit Herzblut.“ Aber sie weist auch darauf hin, welche enormen Anstrengungen es braucht, dass die spanischen Erzieher*innen dann letztendlich in München arbeiten können. Stichwort Sprachniveau, Einarbeitung, Formalitäten et cetera.

In Spanien hatte Daniel Yanes direkt nach dem Abitur eine zweijährige Ausbildung zum Erzieher – oder wie es im Spanischen heißt zur „Fachkraft Höheren Grades in Vorschulpädagogik“ – gemacht. Allerdings brauchte er effektiv drei Jahre dafür, weil er nebenbei noch als Animateur in einem Hotel auf Teneriffa arbeitete, um Geld zu verdienen. Seine Familie hat Yanes immer in allen Entscheidungen unterstützt, sagt er. Sowohl bei der Berufswahl als auch beim Auswandern nach Deutschland. Ein- bis zweimal im Jahr besucht er die Familie in La Orotava, einer 42.000-Einwohner-Stadt am Fuße des Berges Pico de Teide. Seine Mutter hat dort ein Haus, wo auch die Schwester und das Patenkind von Yanes wohnt. „Ich fliege eigentlich immer in der Zeit um Weihnachten und Neujahr nach Teneriffa, meine Mutter hat dann auch Geburtstag und es gibt größere Familienfeste“, sagt Yanes. „Das fühlt sich dann immer sehr schön an, wie Heimkehren. Aber tatsächlich vermisse ich dann immer schon nach einer Woche München und meine Kinder!“ Bei den Heimatbesuchen fragen ihn Freunde und Familie immer wieder „und, wann kommst du zurück?“ Doch Daniel Yanes hat keine Pläne in diese Richtung. Er hat in München wirklich ein neues Zuhause und Freunde gefunden. „Ich kann mir gut vorstellen, hier für immer zu bleiben.“

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