Im Einsatz für Kinder und Migrant*innen
Dimitrina Lang ist vor 24 Jahren aus Bulgarien nach München gekommen, um ihren Studienabschluss zu machen. Heute arbeitet sie als Sozialpädagogin im Stadtjugendamt.
Dimitrina Lang | Stadtjugendamt, Sozialreferat
Dimitrina Lang ist vor 24 Jahren aus Bulgarien nach München gekommen, mit nichts als dem festen Willen, einen Studienabschluss zu machen. Heute arbeitet sie als Diplom-Sozialpädagogin im Stadtjugendamt und ist dort unter anderem für Kinderschutz zuständig.
„Wow, hier ist ja alles so sauber und geordnet“, dachte die 21-jährige Dimitrina Nikolova als sie 1999 nach tagelanger Busfahrt aus Bulgarien in München ankam. Die Bulgarin, die aus einer Arbeiterfamilie aus der Stadt Burgas am Schwarzen Meer kam, wollte in München ihr Studium der Touristik fortsetzen. Sie sprach kaum Deutsch und ihre finanzielle Lage war nicht die beste, denn ihre Eltern konnten sie nicht unterstützen. Doch das schreckte sie nicht. Sie wusste genau, was sie tun musste. Es galt, einen Job zu finden, damit sie ihr Studium finanzieren kann.
Zunächst wohnte sie in einem kleinen Zimmer mit Gemeinschaftsbad in Haidhausen, das sie sich mit einer anderen jungen Frau teilte. Sie fand Arbeit in der Gastronomie und finanzierte damit den Deutschkurs, den sie absolvieren musste, um studieren zu können. Der Kurs fand an der Uni München statt und dauerte normalerweise acht Monate. „Ich habe den Deutschkurs in sechs Monaten geschafft. Ich war sehr dahinter, schnell einen Studienplatz zu bekommen und das Studium schnell zu schaffen“, sagt sie.
Nach einem Jahr in Deutschland konnte sie mit dem Studium beginnen. Für Touristik bekam sie allerdings keinen Platz. Da hätte sie noch ein Jahr warten müssen. Die Fachhochschule bot ihr stattdessen ein Studium der Sozialpädagogik an. Sie dachte nicht lange nach und nahm den Studienplatz an, weil das Fach mit Menschen zu tun hat. Das war ihr wichtig. Sie hätte nach einem Jahr in die Touristik wechseln können, doch sie blieb bei der Sozialpädagogik. „Weil sie so vielfältig ist. Das Studium der Sozialpädagogik ist nicht rein wissenschaftlich orientiert, es gibt dort viel Recht und viele praktische Übungen.“ Das Praktische liegt ihr. Da kam ihr auch das obligatorische Jahrespraktikum entgegen, das sie im Alten- und Servicezentrum Westend absolvierte. Nach vier Jahren schloss sie ihr Studium mit dem Diplom ab. Schon vor dem Abschluss hatte sie bei der Caritas eine Stelle im Alten- und Servicezentrum Westend mit zwölf Wochenstunden bekommen.
Die Caritas hatte gleichzeitig noch einen weiteren Job für sie, beim Raphaelswerk mit 25 Stunden pro Woche. In diese Beratungsstelle kommen bis heute Menschen, die aus Deutschland auswandern wollen. Dimitrina hat sich dort vor allem um Deutsche gekümmert, aber auch um andere, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollten. Sie informierte unter anderem über das Gesundheits- und Sozialsystem im Zielland und welche Unterlagen gebraucht werden. „Ich habe an dieser Stelle viel über andere Länder gelernt“, sagt sie. Zusätzlich arbeitete sie in der Tolstoi Bibliothek, die mit 46.000 russischsprachigen Werken die größte in Westeuropa ist. Im Rahmen eines 400-Euro-Jobs leitete sie dort die Sozialberatung für Aussiedler*innen und Menschen, die Russisch sprechen. Daneben arbeitete sie auch noch am Wochenende in der Gastronomie als Bedienung. Die vielen Jobs brachten sie wieder einen Schritt weiter: Endlich konnte sie sich eine eigene Wohnung leisten. Sie zog in die Au, direkt an die Isar.
„Ich war sehr stolz, dass ich jetzt bei der Stadt arbeite“
Fünf Jahre später, sie war inzwischen 31 Jahre alt, brauchte sie eine neue Herausforderung und bewarb sich mit Erfolg bei der Stadt München als Bezirkssozialarbeiterin. „Da war ich sehr stolz, dass ich jetzt bei der Stadt arbeite.“ Zunächst arbeitete sie im Sozialbürgerhaus Süd in der Plinganserstraße. „Das war eine Stelle, bei der ich sehr viel Wissen und Erfahrung mitgenommen habe“, sagt sie. Als Bezirkssozialarbeiterin war sie für alle Anliegen der Bürger*innen in der Region, aber auch für den Kinderschutz zuständig. „Man hört sich die Anliegen an, beantwortet Fragen und berät, und vermittelt bei Bedarf an andere Stellen weiter.“
In dieser Zeit lernte sie ihren Mann kennen, der aus Rheinland-Pfalz stammt. Sie heirateten 2006. Im Jahr 2008 nahm sie die deutsche Staatbürgerschaft an. „Ich habe das nicht wegen meiner Heirat gemacht, sondern weil Bulgarien in die EU eingetreten ist. Ich war eine der ersten, die die doppelte Staatsangehörigkeit auf diese Weise erworben hat.“ Sechs Jahre später bekamen die beiden eine Tochter und Dimitrina Lang ging in Elternzeit.
Doch nach einem Jahr wollte sie wieder ins Berufsleben. „Ich bin sehr gerne Mutter, aber nicht gerne nur Mutter.“ Sie brauchte eine neue Aufgabe, die nicht lange auf sich warten ließ. Zurück im Sozialreferat startete sie in der Abteilung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Es war das Jahr 2015 mit der europaweitem Flüchtlingskrise und es gab alle Hände voll zu tun. An dem Tag, als sie dort anfing, wurde ein neues Team zusammengestellt, das für die Verlegung der unbegleiteten Minderjährigen in ganz Bayern zuständig war. Sie meldete sich freiwillig und ein Jahr später übernahm sie die Leitung des Teams. Die Kinder wurden erst bayernweit und später bundesweit verteilt.
Nach einiger Zeit kamen immer weniger Geflüchtete und Dimitrina Lang übernahm im März 2017 eine neue Aufgabe im Kinderschutzteam des Stadtjugendamts, wo sie bis heute arbeitet. Der Kinderschutz ist eine Stabsstelle, die direkt bei der Leiterin des Stadtjugendamtes angesiedelt ist. Dimitrina betreut die Münchner Vereinbarung zum Kinderschutz, eine Vereinbarung, die das Stadtjugendamt mit allen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe im Stadtgebiet abschließt. Sie regelt die Vorgehensweise in Kinderschutzfällen. „Ein sehr wichtiges Dokument. Ich bin dafür zuständig, diese Vereinbarung mit allen Trägern abzuschließen und entsprechend der gesetzlichen Änderungen anzupassen“, sagt sie. Außerdem kümmert sie sich um weitere Themen wie häusliche Gewalt und Kinderschutz in sozialen Medien.
Neben Vollzeitjob und Familie engagiert sie sich seit 2010 im Münchner Migrationsbeirat. „Wenn man im Sozialbereich tätig ist und Migrationshintergrund hat, kommt man irgendwann zu der Frage, wie man sich politisch engagieren kann.“ Denn bei ihrer täglichen Arbeit mit Migrant*innen sieht sie immer wieder Lücken und Defizite, die verbessert werden können. Während der Flüchtlingskrise in den Jahren 2014 und 2015 setzte sie sich für den Schutz von Frauen ein. Speziell im Ankunftszentrum in der Bayern-Kaserne waren geflüchtete Frauen nicht vor Übergriffen sicher, sagt sie. Das von ihr und dem Migrationsbeirat geforderte Schutzkonzept für Frauen wurde 2020 vom Stadtrat verabschiedet.
„Unsere Tochter darf alle Religionen kennenlernen“
Im Mai 2023 wurde sie zum zweiten Mal als ehrenamtliche Vorsitzende des Migrationsbeirats gewählt. Unter anderem setzt sie sich dort für den Forderungskatalog für ältere Migrant*innen und ihre Angehörigen und die Wiedereinführung der Gesundheitskarte für Geflüchtete und Migrant*innen ein. Und natürlich bekämpft sie Diskriminierungen und Rassismen jeglicher Art.
Dimitrina Lang fährt jeden Sommer für mehrere Wochen mit ihrer Familie nach Bulgarien. „Das ist einfach ein Muss für mich, weil es meine Heimat ist und ich vor allem das Meer vermisse.“ Wenige Monate nach dem Kennenlernen hat sie ihren Mann auch schon dorthin mitgenommen. Er wurde von ihrer Familie herzlich aufgenommen und fühlt sich dort sehr wohl. In Burgas trifft sich jeden Sommer ihre ganze Familie.
Die Diplom-Sozialpädagogin hat sich in zwei Kulturen gut eingerichtet. Auch ihre Tochter wächst in zwei Kulturen auf. Sie ist jetzt zehn Jahre alt und geht in die fünfte Klasse. Zusätzlich besucht sie seit ihrem dritten Lebensjahr samstags die bulgarische Schule. Zuhause spricht Dimitrina Lang meist bulgarisch mit ihr, ihr Mann deutsch, und so spricht die Tochter beide Sprachen sehr gut.
Die deutsch-bulgarische Familie feiert viele Feiertage, die deutschen, die katholischen, bulgarischen und manchmal sogar auch die muslimischen. „Weil wir in einer bunten Gesellschaft leben und weil das Interesse an anderen Kulturen da ist“, sagt sie. Mehr als 50 Prozent der Münchner Kinder haben einen Migrationshintergrund und so wird in der Schule ihrer Tochter über alle Feiertage gesprochen, erzählt Dimitrina Lang. „Das überträgt sich auf unsere Tochter.“ Auch beim Migrationsbeirat finden alle religiösen Feiertage Beachtung. „Das beeinflusst einen schon.“ Die Familie sieht sich als liberal orthodox, die Tochter wird nicht streng erzogen. „Es ist nicht so, dass wir jede Woche in die Kirche gehen. Unsere Tochter ist zwar bulgarisch orthodox getauft, aber sie darf alle Religionen und Kulturen kennenlernen.“ Und so vermittelt Dimitrina Lang ihrer Tochter eine Offenheit für andere Kulturen und Religionen und gleichzeitig das Bewusstsein für die eigenen Wurzeln. Eine Haltung, mit der die gebürtige Bulgarin weit gekommen ist.