Aus eigener Kraft
Michal Smajda ist in der Slowakei und der Ukraine aufgewachsen und mit zwölf Jahren nach München gekommen. Heute arbeitet er im Stadtjugendamt für die Stadt München.
Michal Šmajda | Sozialreferat: Stadtjugendamt
„Wir sind hier nicht beim Wünsch-Dir-was, sondern bei SO ISSES....“ Ein Zettel mit dieser Aufschrift klebt an dem Computer. Dahinter sieht man die Dächer und Türme Giesings, ein schöner Blick. Und davor sitzt Michal Šmajda, 25 Jahre. Er arbeitet hier. Und er arbeitet gerne hier, wie er sagt. Hier im Jugendamt geht es um Beurkundungen von Vater- und Mutterschaftsanerkennung, Sorgerecht, Adoptionen und Kindesunterhalt. Oft sind es Pärchen, die zu ihm finden, jung verliebt, noch nicht verheiratet. Glückliche Menschen also. Die Bürger kommen freiwillig, hier ist es gratis, beim Notar kostet es was. „Stimmt, die Leute sind alle sehr glücklich“, bestätigt Herr Šmajda, und das scheint ihm wichtig zu sein.
Michal Šmajda ist zunächst in der Slowakei aufgewachsen, in einer kleinen Stadt, ganz im Nordosten, wo er auch geboren ist. Medzilaborce gehört zu den ärmsten Orten in der Gegend. Als Michal vier Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden. Anschließend gingen beide unabhängig voneinander nach München, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Ihren Sohn brachten sie bei den Großeltern in der Ukraine unter, zu denen er bis heute eine enge Beziehung hat.
Nachdem die Slowakei 2004 der EU beigetreten war, kam er, inzwischen zwölf Jahre alt, zu seiner Mutter nach München - ohne auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen. Seine Muttersprache ist Ukrainisch, Russisch lernte er über das Fernsehprogramm, Slowakisch versteht er immerhin. Was sein Nachname bedeutet, weiß er nicht. So etwas wie „Herumtrampler“, vermutet er. Vielleicht will er es auch gar nicht so genau wissen. „Ich bin ganz spontan nach Deutschland“, sagt er, „das hat sich so ergeben“. Diesen Satz, den lässt er wirken, und man wird diesen Satz noch oft hören.
Bester Quali der Schule
Michal Šmajda entspannt sich, bietet dem Autor zum wiederholten Male Schokolade an, diesmal erfolgreich, legt eine Mappe mit Urkunden und Zeugnissen auf den Tisch und erzählt. In Deutschland angekommen, kam er in die 6. Klasse und machte drei Jahre später den qualifizierenden Hauptschulabschluss, das war im Jahr 2007. Er machte nicht irgendeinen Quali, sondern den besten an der Schule. Als Klassensprecher. Man merkt ihm an, dass ihm das wichtig ist und mit Stolz erfüllt. Später folgten noch Mittlere Reife, Fachabitur und allgemeine Hochschulreife.
Deutsch lernte er vor allem über Straßenschilder und Haus- und Parkordnungen. So etwas kannte er aus der Ukraine nicht. Das hat ihn interessiert: Was steht denn da eigentlich? Was soll das bedeuten, wenn am Eingang eines Parks ein großes Schild montiert ist, auf dem ganz viel Text steht? Was will einem die klein gedruckte, erstaunlich umfangreiche Bahnhofsordnung sagen? Das wollte er alles ganz genau wissen - womöglich hat sich da schon der Weg in den öffentlichen Dienst angedeutet, sagt er verschmitzt und grinst.
So lernte er also Deutsch, nun spricht er es fehlerlos, mit feinem Akzent. Egal, wo er sich aufhält – in Deutschland, in der Slowakei oder in der Ukraine: Er wird immer ein bisschen als Ausländer angesehen. Selbst das Ukrainische spricht er mit deutschem Zungenschlag. Andererseits will auch das Bayerische gelernt sein. „Hier an der Dienststelle haben wir ja eine Insel, eine Insel des Bayerntums“ sagt er, denn fast alle seine Kolleginnen - und hier arbeiten vor allem Frauen - seien waschecht aus Bayern. Da passt er sich an, und das tut er sehr gerne. „Hier ist die Verwaltung weiß-blau!“ Und hier brachte man ihm auch Wörter bei wie „Oachkatzlschwoaf“. Konsequenterweise hängt in seinem Zimmer ein großes Plakat: „O'zapft is! Oktoberfest München 2017!“ Und darunter auf dem Regal, da steht ein Wörterbuch „Bairisch-Deutsch“. Das haben ihm seine Kolleginnen geschenkt. Manchmal, wenn ihm danach ist, blättert er darin, und sucht sich ein Wort, das ihm gefällt und dann lernt er es.
Gelernt hat er in den letzten Jahren viel. Zwischen Hauptschule und Abitur begann er seine Lehre zum Drogisten bei dm, „das hat sich eben so ergeben“, sagt er. Drogist wurde er, weil die Drogerie auf dem Weg zur Schule lag. 2010 schloss er die Lehre ab, und zwar als Bayerns bester Drogisten-Azubi.
Er war zufrieden in der Drogerie, arbeitete viel, wurde stellvertretender Filialleiter. Nur die Samstagsarbeit bis 20.00 Uhr, die störte ihn ein wenig. Die Drogerie befand sich damals gleich in der Nähe vom KVR. Da war es nicht weit zur Einbürgerungsstelle, er wollte ja Deutscher werden. Die Kollegin dort war sehr nett und zuvorkommend, sie war sogar so freundlich, dass er sie tatsächlich fragte: „Wie kommt man eigentlich zur Stadt? Wie macht man die Ausbildung?“ Sie gab ihm die entscheidenden Tipps, wo er sich bewerben könnte.
Viel unterwegs in einem freien Europa
Richtig, auch das hat sich so ergeben, spontan und überraschend. Was ihm aber auch in Erinnerung blieb, war eine Frage beim Vorstellungsgespräch, in dem es darum ging, zugelassen zu werden für die Ausbildung zum Verwaltungswirt bei der Stadt. Da wurde er, der er mittlerweile Deutscher war, gefragt: „Wissen Sie, selbst viele Deutsche verstehen Gesetzestexte nicht, wie wollen dann Sie das schaffen?“ Er konterte mit Hinweis auf Abitur und bester Drogistenausbildung Bayerns. Die Sache habe ihn zwar nicht verärgert, aber „innerlich überrascht“.
In die Ukraine, zu den Großeltern, fährt er regelmäßig. Šmajda und seine Familie sind Ruthenen. Die Ruthenen sind ein Bergvolk ohne eigenen Staat, die - ähnlich den Kurden oder Basken – länderübergreifend leben. Die meisten von ihnen in den ukrainischen Karpaten, aber eben auch in der Slowakei, Polen und Rumänien. Seine Großeltern sprechen noch ruthenisch, er selbst zwar nicht, pflegt aber noch teilweise die Traditionen: So feiert er Weihnachten erst am 6. Januar, wie in der orthodoxen Kirche üblich. Auch der Pop-Art-Künstler Andy Warhol hatte ruthenische Wurzeln. Seine Eltern Ondrej und Julia Varhola waren einst aus einem Nachbarort von Medzilaborce in die USA eingewandert– die Leninstraße dort ist auch längst in Andy-Warhol-Straße umbenannt.
Michal Šmajda reist sowieso sehr gerne. Städtereisen sind sein größtes Hobby. Er genießt das freie Europa, das Reisen fast ohne Einschränkungen. Er ist auch viel in ganz Deutschland unterwegs. In München wohnt er glücklich und zufrieden, die Stadt sei sicher und das ist ihm wichtig. Er fühlt sich richtig wohl in der bayrischen Hauptstadt: die Isar, Freunde, die Natur, die Seen. Münchner sind zwar oft nicht so offen, meint er, eher ein bisschen für sich, aber lernt man sie kennen, dann sind sie meist sehr nett. Das gelte vor allem für seine Kolleginnen, die total herzlich seien.
Er, Michal Šmajda, fühlt sich jedenfalls richtig gut integriert. Und er hat ja auch eine Menge dafür getan. Aus einer Laune heraus greift er nochmal nach dem Bairisch-Wörterbuch: Er blättert darin, schlägt wahllos eine Seite auf, tippt mit dem Finger auf ein Wort: „Charivari“ Das Wort kennt er, Test bestanden. Und die Bedeutung dieses Begriffs ist vielleicht nicht allen Bayern geläufig. Doch, meint er, er kennt ja auch den Radiosender, den Begriff hatte er schon mal gegoogelt.
Eine Ex-Ministerin als Mentorin
Und obwohl er sich mehr als nur integriert fühlt, ist er immer noch Mitglied des Stipendien- und Mentorenprogramms „Geh Deinen Weg“ der Deutschlandstiftung Integration. Die Idee dieser Stiftung ist, für Neuankömmlinge aus dem Ausland Mentoren zu finden, die Kontakte schaffen und Wege aufzeigen. Über einen Freund erfuhr er von Prof. Ursula Männle, der früheren bayerischen Ministerin und heutigen Vorsitzenden der Hanns-Seidel-Stiftung. Michal Šmajda schrieb dann einfach mal Frau Männle, die von der Stiftung noch nicht gehört hatte, und fragte, ob sie nicht seine Mentorin werden wolle.
Er erwartete nicht viel, doch eines Tages rief Frau Männle tatsächlich an. Persönlich! Es entwickelte sich eine Freundschaft, er durfte sie beim Neujahrsempfang des Ministerpräsidenten begleiten, sie kochte Suppe für ihn, und noch heute bekommt er von ihr Postkarten, wenn sie für die Hanns-Seidel-Stiftung im Ausland unterwegs ist.
Frau Männle betonte ihm gegenüber, dass sie sich bislang nur für Mädchen engagierte hatte, und er ihr erster Mann gewesen sei - hinsichtlich der Integration, wie er schnell hinzufügte. „Sie ist ganz natürlich. Auch diese Promis sind nur Menschen“, sagt er beeindruckt. Bei Frauen, möchte man fast meinen, macht er ohnehin schnell Eindruck, doch womöglich täuscht das auch, vielleicht ist es einfach so, dass er generell eine gewinnende Art hat, zuvorkommend, und vor allem positiv. Es geht ihm gut hier in München, und das merkt man ihm an. Nur, den Hinweis, dass alles immer spontan war, und sich so ergeben habe, der kommt schon recht oft, denkt man sich, das kann man auch übertreiben.
Aber vielleicht ist dieses „es hat sich so ergeben“ auch ein Ausdruck von Bescheidenheit, so etwas wie, den eigenen Anteil am Erfolg herunterzuspielen. Denn offensichtlich war Smajda schon als Schüler sehr zielstrebig und fleißig. Er hat jede Gelegenheit, die sich ihm bot, ergriffen und das Beste daraus gemacht. Und das aus eigener Kraft, denn seine Eltern konnten ihm nicht helfen.
Am Ende hat sich sogar die Stelle beim Jugendamt „so ergeben“: Seine Vorgesetzte nämlich hat den eingangs beschriebenen Zettel, der mit den Worten „Wir sind hier nicht beim Wünsch-Dir-was“ beginnt, handschriftlich ergänzt: „Erfreulicherweise klappt das manchmal doch mit dem „Wünsch-Dir-was“, lieber Herr Smajda - Herzlich willkommen zurück bei S-II-B/UB!“ Hier, in dieser Außenstelle des Jugendamts, war er schon Praktikant gewesen, und überraschend hatte sich plötzlich eine freie Stelle „ergeben“.
Das Gebäude, das auf dem früheren Agfa-Gelände steht, ist neu, die Gänge sind breit, die Zimmer hell. Kunden und Kollegen sind freundlich, die Arbeit ergibt Sinn. Das sei sowieso das wichtigste. Der Aufstieg in den gehobenen Dienst? Hof? Modulare Qualifizierung? Das hat er vielleicht mal vor, ja. Es wird sich alles so ergeben.