Stipendien Kinder- und Jugendtheater
Die Stipendien sollen den Akteur*innen der freien Szene Arbeits- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten eröffnen und sie in ihrem künstlerischen Schaffen voranbringen.
Über das Stipendium
Das Kulturreferat der Landeshauptstadt München vergibt seit 2022 jährlich Stipendien an professionelle, freischaffende Künstler*innen (Einzelpersonen) im Bereich der Darstellenden Kunst für junges Publikum. Ausgeschrieben werden vier Stipendien à 8.000 Euro. Die Stipendien sollen den Künstler*innen der freien Szene wichtige Arbeits- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten eröffnen und sie in ihrem individuellen künstlerischen Schaffen voranbringen. Gefördert werden insbesondere folgende Aktivitäten:
- Recherchen auch ohne unmittelbaren Bezug zu einer geplanten Produktion
- Das Erarbeiten von neuen Konzepten und künstlerischen Ansätzen
- Die Teilnahme an umfangreicheren Fort- und Weiterbildungen, Fachaustausch, Visitationen etc.
Über die Vergabe der Stipendien entscheidet der Stadtrat der Landeshauptstadt München auf Empfehlung einer Jury.
Das Stipendium für Kinder- und Jugendtheater erhalten
Marie-Sophie Ernst
Recherche und Konzeptentwicklung zum Thema „Dreck“
Die Dramaturgin und Theatermacherin Marie-Sophie Ernst wird den Begriff „Dreck“ in all seiner Ambivalenz und seinen gesellschaftlichen Vorurteilen ergründen, erforschen und Kindern und Jugendlichen von 6 bis 14 Jahren eine neue Perspektive auf das tabuisierte Thema „Dreck“ eröffnen. In unserer westlichen Welt, in der Kinder oft in einer sehr sauberen, oft sterilen Welt leben, begleitet von Allergien, wachsen Kinder des globalen Südens beispielsweise in einer großen Selbstverständlichkeit mit Dreck auf, verwenden Dreck im kindlichen Spiel und begreifen Dreck als natürlichen, organischen Teil des Lebens. Marie-Sophie Ernst will die bei uns so oft negativen Konnotationen des Begriffs wie „Du dreckiges Schwein...ein schmutziger Mensch...der redet aber dreckig...“ genauso hinterfragen wie die hippen, modernen Aktivitäten des Schlammcatchens, der Schlammbäder oder des Spartan Runnings. Außerdem will die Theatermacherin selbstverständliche, jahrhundertealte Sichtweisen aus der Antike in ihre Recherchen miteinfließen lassen, wo Dreck, Schlamm, Schmutz und Erde ein essenzieller Bestandteil von Fruchtbarkeit und Leben waren für Tiere, Pflanzen und Menschen. Die Kinder und Jugendlichen sollen Dreck sinnlich, sensorisch und haptisch erleben, vielleicht selbst Samen in Erde einpflanzen und mit nach Hause nehmen oder Dinge aus Schlamm tonen und dadurch jedweden Ekel zum Schmutz verlieren. Außerdem werden Wissenschaftler*innen, Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche interviewt zum Thema Hygiene, der Bedeutung von Dreck und die geschlechtlichen Ungleichheiten in diesem Zusammenhang untersucht: „Wieso dürfen sich Jungs dreckig machen und Mädchen nicht?“. Ein hochspannendes Projekt, das die Jury unterstützen möchte mit einem Forschungsstipendium in Höhe von 8.000 Euro.
Marianne Klausen
Recherche und Entwicklung eines Vermittlungskonzeptes für „schwere“ Themen im Bereich Musiktheater
Marianne Kjær Klausen ist eine bemerkenswerte Künstlerin an der Schnittstelle zwischen freiem und institutionellem Theater, zwischen Schauspiel- und Musiktheater, zwischen Kunst und sozialem Engagement. Anfang des Jahres hat sie im schweren reiter die Kinderoper „BÖSEMANN“ zum Thema häusliche Gewalt inszeniert, eine sehr gelungene Arbeit. Angebunden daran war ein umfangreiches Vermittlungskonzept in Zusammenarbeit mit der Frauenhilfe München und der Gesellschaft für soziale Arbeit.
Weil aber Marianne Klausen ihre eigene Arbeit auch selbstkritisch reflektiert, hat sie selbst noch Verbesserungspotenzial ausgemacht. Nicht nur für ihre eigene Arbeit, sondern für das Musiktheater insgesamt: Die meisten Partituren sind in sich geschlossen und bieten den Sänger*innen wenig Möglichkeiten, auf das Publikum zu reagieren. Deshalb möchte Marianne Klausen nun erforschen, wie das zeitgenössische Musiktheater von der noch relativ neuen Form der Relaxed Performance profitieren könnte. Relaxed Performances sind bislang vor allem gedacht für Menschen mit Autismus bzw. im neurodiversen Spektrum und werden meist eher mit leichten Themen oder bekannte Geschichten angeboten. Sie beinhalten begleitende Maßnahmen wie frühen Einlass, das offensive Angebot, Vorstellungen jederzeit verlassen und aber auch wieder betreten zu können, andere, bequemere Sitzmöglichkeiten, Beschreibungen dessen, was auf der Bühne passieren wird.
Mit dem Arbeitsstipendium möchte Marianne Klausen nun untersuchen, welche dieser entspannenden Maßnahmen ein künftiges Regiekonzept und vielleicht auch schon zuvor Libretto und Komposition im zeitgenössischen Musiktheater für junge Menschen beeinflussen könnten. Die Erkenntnisse werden einfließen in eine neue Oper für junges Publikum im Jahr 2026, wieder zu einem schwierigen Thema.
Hierzu wird sie eine Fortbildung bei der Relaxed Company UK besuchen, die führend ist für ein zugängliches Theater in England, das wiederum bereits eine längere Tradition für Relaxed Performances hat. Zudem möchte sie sich u. a. intensiv mit unterschiedlichen Dramaturgien für junges Publikum auseinandersetzen, Erzählstrukturen im Musiktheater vergleichen und auf ihr Potenzial für eine relaxte Spielart hin analysieren, um schließlich ein Konzept zu erarbeiten, in dem Sänger*innen offener mit ihrem Publikum interagieren können. Erprobt werden soll das Konzept mit Studierenden der Theaterakademie August Everding und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Vorhaben wirkt sehr durchdacht, sinnreich und zielorientiert im Hinblick auf die weitere künstlerische Arbeit von Marianne Klausen. Deshalb empfiehlt die Jury, ihr ein Arbeitsstipendium in Höhe von 8.000 Euro zuzuerkennen.
Karen Modrei
Künstlerisch-praktische Recherche zur Bühnenraumgestaltung als Teil der Regiearbeit
Mit Karen Modrei, Kostümbildnerin und Installationskünstlerin, betritt eine neue Akteurin den Förderbereich der Jury für Kinder- und Jugendtheater. Mit einem Hintergrund in Architektur, einem Masterabschluss in Textilkunst und herausragenden Referenzproduktionen überzeugt Karen Modrei in ihrem Recherche-Konzept. Dieses denkt szenische Produktion vom Bühnenraum her und sucht nach einer individuellen Erfahrbarkeit von Räumen. Mit der Gestaltung von Environments sollen Strukturen neu gedacht und neue Formate des Theaters ausprobiert werden. Mit Bezug auf das Buch „The Animal Farm“ von George Orwell sollen in der Recherche Gruppendynamiken und kollektive Erinnerung als Ausgangspunkt für eine szenische Umsetzung dienen. In Kurzresidenzen sollen diese Ansätze im Austausch mit Julia Römpp (Theaterwissenschaftlerin und Licht- und Medientechnikerin) und Angelika Koch (Kultur- und Medienbildnerin und u. a. künstlerische Produktionsassistenz bei den Münchner Kammerspielen) ausprobiert werden. Die Jury empfiehlt, Karen Modrei mit einem Arbeitsstipendium in Höhe von 8.000 Euro zu fördern.
- 2024
Gabi Altenbach; Annette Geller; Thalia Schoeller; Laura Steinhöfel; - 2023
Jörg Baesecke; Dominik Burki; Léonard Engel; Rinus Silzle - 2022
Ines Honsel; Verena Regensburger; Susanne Schneider; Jochen Strodthoff; Caitlin van der Maas