Tanzstipendien
Mit dem Tanzstipendium soll die künstlerische Weiterbildung bzw. die Erarbeitung eines neuen künstlerischen Konzepts gefördert werden.
Arbeitsstipendien zur Weiterbildung
Die eingereichten Vorschläge werden durch die Juries der freien Tanzgruppen.
Die Vergabeempfehlungen der Juries orientieren sich an den Grundlagen und Richtlinien der Förderung aktueller darstellender Kunst. Danach werden Künstlerinnen und Künstler sowie Gruppen gefördert, die auf der Basis nachgewiesener professioneller Arbeit erste künstlerische Erfolge erzielt haben.
Bewerben können sich Künstlerinnen und Künstler sowie Gruppen im Bereich Tanz und Theater, die in ihren Wohnsitz in der Region München haben. Die Stipendien sind vorhabensbezogene Arbeits- und Weiterbildungsstipendien, mit denen sowohl jüngere als auch etablierte Choreographinnen und Choreographen gefördert werden sollen. Es besteht keine Altersbegrenzung. Die Förderung beträgt maximal 8.000 Euro.
Die Einreichung der Bewerbungen ist bis 1. Juni für das Folgejahr möglich.
Das Tanzstipendium erhielten
Belyagina, Alina: Eine interdisziplinäre Forschung für eine zukünftige Tanz/Noise/Hyper-Objekt-Performance
Umtriebig und von großer Neugierde geprägt wirken die Anträge der Choreograph*in Alina Belyagina, die*der neben einem Antrag auf Debütförderung auch einen vielversprechenden Antrag auf ein Stipendium für die Erarbeitung einer zukünftigen Tanz/Noise/Hyper-Objekt-Performance gestellt hat. Diese Forschung basiert auf der durch Donna Haraway und damit postanthropozentrisch geprägten Zukunftsvision der „Compost Society“, die nicht mehr den Dualismus von Mensch und Natur, sondern das non-hierarchische Mit-Sein von humanen und non-humanen Akteur*innen (also etwa Tieren und Pflanzen) und ihren verflochtenen Narrativen fokussiert. Der tanzende, sich bewegende Körper spielt hier eine zentrale Rolle, um durch Bewegungsrecherchen routinisierte Verhaltensweisen und menschliche Muster zu untersuchen und durch Strategien des Unlearnings und Embodiments zu durchbrechen. Ein weiterer Aspekt für Belyagina in ihrer*seiner Erforschung von postapokalyptischen Szenarien und damit zusammenhängender, möglicher zukünftiger Existenzformen in Zeiten von Klimawandel und Kriegen ist das Konzept des „Hyperobjekts“. Dieses Konzept geht davon aus, dass es Dinge gibt, die unsere menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Mit dem sich bewegenden Körper, so Belyaginas Anliegen, lassen sich u.a. unter Einbezug aller Sinne Formen finden, um diese Dinge zu imaginieren, zu erfahren und damit fassbare und zugleich sich im steten Wandel befindliche (künstlerisch vermittelnde) Formate zu kreieren. Begrüßenswert und enorme Produktivität versprechend ist die anvisierte Zusammenarbeit mit der Choreographin Alexandra Pirici, die seit 2023 eine Professur für Performance Art an der Akademie der Bildenden Künste München innehat, sowie mit dem New Media- und Performancekünstler und Aktivisten Dani Ploeger, der seit 2023 die Professur für Performance und Technologie an der Hochschule für Musik und Theater München innehat. Die Jury empfiehlt, das Vorhaben mit einem Arbeits- und Fortbildungsstipendium in Höhe von 8.000,00 € zu unterstützen.
Bruch, GbR: Theodramatik
„Dort, wo Welt und Leben nicht mehr zusammen finden, entwirft die Phantasie dichtend eine Gegenwelt.“ Das beantragte Arbeits- und Fortbildungsstipendium dient der Vertiefung einer begonnenen Recherche von Bruch GbR zu spekulativen und dynamischen Poetiken in Bezug auf autofiktionale Körperkonstellationen. Im Rahmen eines Take Heart-Residenzstipendiums bei PACT Zollverein wurden basierend auf Archiv-Recherchen im Nachlass der Künstlerin und Dichterin Elsa von Freytag Loringhoven (1874-1927) motivische Scores erarbeitet und erste performative Skizzen entworfen. Diese Recherche soll mit der Choreographin Martina de Dominics fortgesetzt werden, um choreographische Methoden für ein Bühnenprojekt zu finden, das die performativ-literarische Welt Elsa von Freytag-Loringhoven in Tanz übersetzt. Bruch GbR besteht aus Lennart Boyd Schürmann und Moritz Nebenführ, die im März 2022 mit Schürmanns herausragender Diplomproduktion „Klittern“ zum Abschluss seines Regiestudiums an der Otto Falkenberg Schule an den Münchner Kammerspielen für Aufsehen sorgten. Schürmann studierte zunächst Kunstwissenschaft, Geschichte, Jura, Philologie und Philosophie in Berlin, Paris und Karlsruhe (M.A., FU Berlin) und arbeitete vor seinem Regiestudium u.a. als Gastwissenschaftler und -lehrer am Institut für Tanzkunst der Anton Bruckner Universität Linz sowie an der HBKsaar zu gestischen und räumlichen Konzeptionen von Geschichte. Die Jury empfiehlt, die vertiefende Auseinandersetzung mit choreographischer Kunst von Bruch GbR mit einem Arbeits- und Fortbildungsstipendium in Höhe von 8.000,00 € zu fördern, da sich hier vielversprechendes, spartenübergreifendes Potential entwickelt.
Engel, Léonard: Ghosts of the past
Léonard Engel arbeitete nach dem Abschluss seiner Ausbildung an der Ballettschule der Pariser Oper sowie beim Ballett Victor Ullate in Madrid und danach acht Jahre beim Bayerischen Staatsballett, bevor er sich neuen Herausforderungen beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und im Ensemble von Richard Siegal sowie als Tänzer in der freien Szene u. a. bei Ginterdorfer/Klaassen und Paula Rosolen zuwandte. 2019 wurde ihm die städtische Debütförderung für sein zweites eigenes Stück „How to get rid of a body. A magic Manual“ zugesprochen. Engel hat sich seither als eigenwillige, reflektierte und mit seinen thematischen Ansätzen immer wieder überraschende, höchst eigenständige Stimme in der freien Tanzszene etabliert. Für sein Recherche-Projekt „Ghosts of the Past“ möchte er – auf der Basis seiner achtjährigen Ausbildung beim Pariser Opernballett und seiner Karriere beim Staatsballett vom Corps-Tänzer bis zum Solisten – seine Expertise als klassischer Tänzer einbringen, um zentrale Konventionen des klassischen Tanzes – speziell das ballet blanc – zu hinterfragen. „Giselle“ (1841) gilt als Archetyp des romantischen Balletts und ist eines der weltweit meistgespielten Ballettstücke. Anhand des zweiten Aktes, mit seiner choreographischen Formation und fantastischen Welt-Ordnung, will Engel die Kriterien untersuchen, mit denen der „Weiße Akt“ zugleich exemplarisch Kritik herausfordert an der hierarchisch-elitären, sexistischen, eurozentristischen, hegemonialen und vorwiegend weißen Kunstform des Balletts. Diese Reflexion soll wiederum in eine Dekonstruktion der Tradition münden in Form der Erarbeitung eines Solos, das sowohl Pas de deux wie eine 50-köpfige Gruppenformation in einem Tänzer*innenkörper aufscheinen lässt. Den Weg zu diesem Versuch einer kritisch reflektierten, konzeptuellen wie individuellen Neu-Aneignung klassischen Tanzes aus heutigen Perspektiven möchte die Jury mit einem Arbeits- und Fortbildungsstipendium in Höhe von 8.000,00 € unterstützen.
Playground GbR: Vernetzung-Nachhaltigkeit-Zukunft
Der Projektraum „Playground“ auf dem Kreativquartier München steht seit Jahren für einen Ort der künstlerischen Recherche. Er präsentiert sich als Diskurs- und Austauschort über die Tanzsparte hinweg und als Anlaufstelle für jüngere Tanzschaffende. Mit seiner Öffnung in die Gesellschaft hinein erfüllt er zahlreiche wichtige Aufgabenbereiche in der freien Tanzszene München. Die Playground GbR befasst sich in ihrer Recherche 2024 mit der Herausforderung der Verstetigung dieses Projektraumes und möchte die Konsolidierung der finanziellen und personellen Gestaltung im Sinne der Nachhaltigkeit voranbringen. Hierzu sucht sie den Austausch mit ähnlichen tänzerischen Begegnungsorten in Deutschland und Europa. Dafür geplante Austauschstätten sind das Studio Hammerdeich in Hamburg, der Freiraum/Ben Riepe in Düsseldorf, das Tictac Art Center in Brüssel oder das Aparamillon in Athen. Fragen nach der nachhaltigen Verortung dieser unterschiedlichen Schnittstellen von künstlerischer Forschung und gemeinschaftsbezogenem Diskurs in ihrem jeweiligen spezifischen Umfeld stehen dabei im Zentrum des Austausches. Gemeinsam sollen Strategien, Konzepte und Erfahrungen gesammelt werden, wie die Programme und die langfristige Finanzierung dieser Orte derzeit betrieben und für die Zukunft gestaltet werden können. Über den Austausch sollen unterschiedliche Strategien kennengelernt und gleichzeitig Synergien geschaffen werden, um ggf. zukunftsträchtige Verbindungen und weiterführenden Austausch entstehen zu lassen. Die Playground GbR plant, aus den unterschiedlichen Konzepten der jeweiligen Städte, ein für München stimmiges Vorgehen für die nachhaltige Konsolidierung ihrer Tätigkeit und der langfristigen Verortung von „Playground“ zu entwickeln. Die Jury ist von der Bedeutung des Playground Studios für die freie Tanzszene München überzeugt und empfiehlt das Rechercheprojekt mit einem Arbeits- und Fortbildungsstipendium in Höhe von 8.000,00 € zu fördern.
Zinola, Alfredo: Punctures – Entwicklung eines Konzepts und Bildung zum Thema Kunst und Ökologie
Der zwischen München und Köln arbeitende Choreograph und Performer Alfredo Zinola hat in den letzten Jahren sehr erfolgreich zeitgenössische Tanzstücke für ein junges Publikum produziert. Mit dem kollaborativen Projekt „Punctures“ wandte sich Alfredo Zinola einem neuen Themenfeld zu, dem Zusammenhang zwischen Tanz und Ökologie. Im Rahmen von „Punctures“ wurden in Zusammenarbeit mit einem italienischen Umweltverband von den Projektbeteiligten kleine Landparzellen inmitten intensiv bewirtschafteter Agrarlandschaften übernommen und dort unterschiedliche Habitate als Refugien für die Artenvielfalt erschaffen. Aus dieser aktiven Gestaltung der Natur ergibt sich für Zinola eine Verschiebung der Wahrnehmung weg von der Natur als etwas Perfektem. Diese Wahrnehmungsverschiebung bietet einen Anknüpfungspunkt an seine choreographische Arbeit, in der immer wieder die Wahrnehmung des Körpers auf der Bühne hinterfragt wird. Daher soll das Projekt „Punctures“ nun als Grundlage für eine umfassende Recherche dienen, wie aus ökologischem Handeln eine neue künstlerische Praxis abgeleitet werden kann. Alfredo Zinola stellt sich die Frage, wie die körperliche Arbeit auf den Feldern in ein Kunstwerk überführt werden kann, wenn keine Körper menschlicher Tänzer*innen anwesend sind, sondern die von – beispielsweise – Bäumen. Diese Beschäftigung mit dem Nonhumanen könnte Zinola in seiner Recherche weitere spannende Aspekte liefern. Der Antrag ist durch einen hohen Vernetzungsgedanken – auch in die Wissenschaft hinein – geprägt und hat das Potential, Künstler*innen auf kreative Weise international zu verbinden. Die Jury empfiehlt, das Vorhaben des Künstlers mit einem Arbeits- und Fortbildungsstipendium in Höhe von 8.000,00 € zu unterstützen.
- 2023
Manasvini K. Eberl; Stephanie Felber; Lena Grossmann; Stephan Herwig; Judith Hummel; Nicola Kötterl; Playground GbR - 2022
Alina Belyagina, Léonard Engel, Judith Hummel, Kathrin Knöpfle, Sabine Karb, Simone Lindner-Bungert, Katja Wachter, - 2021
Callie Arnold, Sophie Becker, Sahra Huby, Kolja Huneck, Carolin Jüngst, Quindell Orton, Susanne Schneider, Lucy Wilke - 2020
Sandra Chatterjee, Leonard Engel, Angela Guerreiro, Mario Lopes Vieira da Silva, Ceren Oran, Zufit Simon, Alfredo Zinola - 2019
Ingeborg Maria Engel, Sabine Glenz, Martina La Ragione, Katrin Schafitel, Rosalie Wanka - 2018
Sandra Chatterjee, Léonard Engel, Stephanie Felber, Ceren Oran - 2017
Anna Donderer, Judith Hummel, Katrin Schafitel, Zufit Simon - 2016
Stephanie Felber, Sarah Huby, Mia Lawrence, Ceren Oran - 2015
Stephan Herwig, Sarah Huby, Judith Hummel, Alfredo Zinola - 2014
Annett Göhre, Yvonne Pouget, Micha Purucker, Mey Sefan, Sarah Israel (Debütförderung)