1. Münchner Integrationskonferenz „TeilSEIN statt TeilHABEN“
Über 90 Akteur*innen aus verschiedenen Institutionen und Bereichen sind der Einladung zur ersten und letzten Integrationskonferenz ins KUNSTLABOR 2 gefolgt.
1. Münchner Integrationskonferenz „TeilSEIN statt TeilHABEN“
Über 90 Akteur*innen aus verschiedenen Institutionen und Bereichen sind der Einladung der Fachstelle für migrationsgesellschaftliche Diversität zur ersten und letzten Integrationskonferenz am 26. Oktober ins KUNSTLABOR 2 gefolgt. Sie gingen der Frage nach, wie TeilSEIN als Normalität in einer gerechten, modernen Stadtgesellschaft gelebt werden kann.
Verschiedene Stakeholder und Akteur*innen des fachlichen Themenfelds Migration ins Gespräch zu bringen und neue Perspektiven zu entwickeln, das war der Auftrag des Stadtrats an die Fachstelle für migrationsgesellschaftliche Diversität. Mit der „1. Münchner Migrationskonferenz“ wurde der Bogen von Integration zu TeilSEIN gespannt. Es galt nachzuspüren, welche Mechanismen und Praktiken TeilSein verhindern und so Zugehörigkeit unmöglich machen. Konkret darüber reflektiert und diskutiert wurde in den Handlungsfeldern Arbeit, Bildung (Schule), Kultur und Politik.
Fragen der Teilhabe und Diskriminierung in einer modernen Einwanderungsgesellschaft betreffen die gesamte Gesellschaft. Dementsprechend hatte der Kreis der Konferenzbeteiligten möglichst viele verschiedene (Gruppen)Perspektiven und bildete vielfältige Erzählungen ab. Klar war, dass ein „weiter wie bisher“ nicht mehr geht, dass es an der Zeit ist, Machtmechanismen offenzulegen, neue Impulse zu setzen und neue Wege zu gehen. Neu an dem Format waren auch die „Critical Friends“: Für die kritische Begleitung der Konferenz hat die Fachstelle für migrationsgesellschaftliche Diversität fünf Akteur*innen benannt, die TeilSEIN aktiv leben und einfordern. Sie erhielten den Auftrag, sich Handlungsfeldern zuzuordnen und sich bei den Diskussionen einzumischen, blinde Flecken zu benennen und dem Ungesagten ihre Stimme zu leihen.
Rund 90 Akteur*innen aus den Bereichen Einrichtung, Ehrenamt, Interessensvertretung, Migrant*innen-Organisation, Medien, Politik, religiös-weltanschauliche Vielfalt, Wissenschaft und Verwaltung nahmen in Präsenz an der Konferenz teil, 60 folgten online der Keynote von Dr. Emilia Roig. Beim anschließenden Empfang nutzten 80 Konferenzteilnehmer*innen die Gelegenheit zum Austausch und zur Vernetzung. Bürgermeisterin Verena Dietl eröffnete die Veranstaltung mit einem Blick auf aktuelle Entwicklungen und den Stand in den vier Handlungsfeldern. Mit einem künstlerischen Input in Form einer fiktiven „Bürgermeister*innen-Ansprache“ erschlossen Sinem Gökser und Tuncay Acar vom Team Vielheit neue Räume und nahmen die Teilnehmenden auf eine kleine Reise in die Zukunft mit. Impulsgebend für die weitere Diskussion war die Keynote der Autorin, Politikwissenschaftlerin und Expertin für Intersektionalität Dr. Emilia Roig. „Auf dem Weg zu einer Welt frei von systemischer Unterdrückung – Teilsein und Vielfalt“ betitelte sie ihren Vortrag. Anhand konkreter Beispiele vermittelte Roig eindrücklich, wie das Zusammenwirken von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus tatsächliches TeilSEIN verhindert. Damit lud sie die Teilnehmenden dazu ein, ihre Perspektiven und Überzeugungen in Bezug auf soziale Ungerechtigkeit zu erweitern.
Beim anschließenden Austausch über TeilSEIN gingen die Konferenzteilnehmer*innen der Frage nach, wie es in den vier Handlungsfeldern aussähe, wenn TeilSEIN bereits heute schon Normalität wäre. Abgerundet wurde die Konferenz mit dem Podiumsgespräch zu TeilSEIN. Auf dem Podium diskutierten die Stadträt*innen Nimet Gökmenoglu, Fraktion DIE GRÜNEN/Rosa Liste; Cumali Naz, SPD/Volt-Fraktion; Thomas Lechner, Fraktion DIE LINKE/Die PARTEI mit Stadtschulrat Florian Kraus, der Vorsitzenden des Migrationsbeirats, Dimitrina Lang und Ramazan Demirlek, dem Vertreter der „Critical Friends“.
Die wichtigsten Aussagen, Statements und Aspekte wurden von Graphic Recorder*innen auf Metaplanwänden festgehalten, so dass zu TeilSEIN statt TeilHABE und zu jedem Handlungsfeld ein großes Bild entstanden ist.
Die Fachstelle für migrationsgesellschaftliche Diversität wertet nun die Konferenz aus. Jetzt schon kann festgestellt werden, dass der inhaltliche Ansatz und der dialogische Charakter der Konferenz großen Anklang gefunden haben. Das Containerwort „Integration“ muss differenziert und kritisch hinterfragt werden. Auf starke Resonanz stieß der Ansatz durch „TeilSEIN“ Machtverhältnisse, Haltungen und Zukunftsvisionen besprechbar zu machen. Deshalb werden wir auch weiterhin TeilSEIN in den Fokus nehmen, um der vielfältigen Münchner Stadtgesellschaft gerecht zu werden.
Deutlich geworden ist, dass „Integration“ die Themen der diversen Münchner Stadtgesellschaft zu kurz fasst – deswegen war dies die erste und gleichzeitig die letzte „Integrationskonferenz“.
Auszug aus der Rede von Verena Dietl
(26. November 2023) "Heute werden Sie einen genaueren Blick auf 4 Handlungsfelder richten
Fangen wir an mit Politik:
Gerade erst war die Landtagswahl.
Unser Wahlrecht auf Bundes- bzw. Landesebene knüpft an die deutsche Staatsbürgerschaft an, nicht aber beispielsweise an einen langen Aufenthalt im Bundesgebiet. Menschen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft besitzen zwar weitestgehend die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte. So durfte beispielsweise bei der Landtagswahl vor knapp drei Wochen jede*r siebte Erwachsene in Bayern nicht wählen.
Und auch beim passiven Wahlrecht sieht es nicht besser aus: In ganz Deutschland gibt es beispielsweise aktuell nur vier Oberbürgermeister mit einem Migrationshintergrund. Hier muss ich leider nicht gendern, denn eine Frau ist nicht dabei.
Eine wichtige Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, ist daher der Migrationsbeirat. Im März neu gewählt, erhebt er klar und deutlich die Stimme und verschafft sich Gehör. Es freut mich sehr zu sehen, wie aktiv und kritisch er sich zu migrations- und gesellschaftspolitischen Themen positioniert.
Ein weiteres Handlungsfeld, das heute näher beleuchtet wird: Arbeit:
Vom Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel, auch in München, war schon die Rede. Die Stadt München investiert viel in die Qualifikation und Deutschsprachförderung von Migrant*innen, auch von Geflüchteten. Alleine im Sozialreferat werden viele Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt. Es gibt beispielsweise Deutschkursangebote, Beschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, ausbildungsbegleitende Projekte, sowie Anschluss- oder Brückenmaßnahmen im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Qualifikationen.
Bundesweit steigt der Anteil ausländischer Beschäftigter seit Jahren. Und auch bei der Stadt München als Arbeitgeberin, steigt die Anzahl ausländischer Beschäftigter: Aktuell liegt die Quote bei 15 Prozent. Wir stellen jedoch fest, dass die Verteilung auf die verschiedenen Einkommens- und Qualifikationsstufen sehr ungleich verteilt ist. In den niedrigen Einkommensgruppen liegt der Anteil ausländischer Beschäftigter bei 47 Prozent, in der höchsten sogenannten Qualifikationsstufe stagniert der Anteil ausländischer Beschäftigter seit Jahren bei niedrigen 3 Prozent.
Im Bereich der Selbständigen liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bundesweit bei 20 Prozent. Etwa 47 Prozent davon sind selbst Arbeitgeber*innen mit weiteren Beschäftigten. Verschiedenen Schätzungen zufolge stellen sie bundesweit über zwei Millionen Arbeitsplätze. Zu selten wird der Blick hierauf gerichtet!
Das dritte Handlungsfeld befasst sich mit dem Thema schulische Bildung.
In allgemeinbildenden Schulen sind Lehrer*innen mit Migrationshintergrund bei weitem noch nicht repräsentativ vertreten. 2021 hatten schätzungsweise rund 13 Prozent aller Lehrer*innen an allgemeinbildenden Schulen bundesweit einen Migrationshintergrund. Davon hatten rund 70 Prozent eine deutsche Staatsangehörigkeit. In den Schulen fehlen nach wie vor genügend Vorbilder.
Denn 66,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben in München einen Migrationshintergrund. Davon haben aber nur knapp 14 Prozent eine eigene Einwanderungsgeschichte. Dass heißt, der allergrößte Teil ist bereits hier geboren.
Nach dem aktuellen Bildungsbericht gehen deutsche Schüler*innen fast dreimal so häufig mit einem Abitur von der Schule als ausländische Schüler*innen. Umgekehrt verlassen ausländische Schüler*innen mehr als dreimal so häufig das Schulsystem ohne einen Mittelschulabschluss. Der Blick auf die ausländische Staatsangehörigkeit als Ursache greift hier zu kurz. Denn häufig ist ein geringerer Schulerfolg auf dahinterliegende Aspekte wie nicht ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache oder die soziale Lage der Familie zurückzuführen.
Für die Stadt München ist die Bildungsgerechtigkeit für alle oberstes Ziel. Um dieses zu erreichen, besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf. Aber es wurden im letzten Jahrzehnt auch schon viele wichtige Strukturen und Angebote geschaffen.
Das vierte Thema, dass im Vorfeld der Konferenz als Handlungsfeld identifiziert wurde, ist der Bereich Kultur.
Und auch hier fragen wir: Gibt es im Feld der Kultur die Möglichkeit einer strukturellen und sozialen Teilhabe für Menschen mit einer Migrationsgeschichte?
Ein Blick auf das Kulturreferat – als kleinen Ausschnitt im Feld Kultur - zeigt: Auch hier hat sich einiges getan: Im Rahmen des Handlungsfeldes „Diversität leben, Demokratie stärken“ gestaltet das Kulturreferat verschiedene Projekte und Förderungen. Auf Stadtteilebene wird mit dem Netzwerk Morgen e.V. kooperiert. Und auch die Bedeutung der Migration für München wird in der Stadtgeschichte verstärkt erforscht. Diese Forschung macht sichtbar, wie Migrant*innen schon seit langer Zeit diese Stadt prägen und mitgestalten."