Einzelprojektförderung für Freie Theaterschaffende
Professionell arbeitende Künstler*innen und Gruppen können eine Projektförderung im Bereich Theater beantragen.
Über die Förderung
Gefördert werden die Vorhaben professionell arbeitender Künstler*innen und Gruppen, die bereits erste künstlerische Erfolge in den freien darstellenden Künsten vorweisen. Die Projekte sollen über einen eigenständigen ästhetischen Ausdruck verfügen, relevante Diskurse der Gegenwart reflektieren und eine Bereicherung für die freie Münchner Szene darstellen.
Die maximale Förderungshöhe für Einzelprojekte beträgt 100.000 Euro. Es erfolgt eine Förderung der Produktion und einer begrenzten Zahl von Aufführungen. Komplementärfinanzierungen sind schlüssig nachzuweisen.
Die Förderung richtet sich an Künstler*innen aller Altersgruppen, für den Beginn der künstlerischen Laufbahn ist die Debütförderung vorgesehen.
Die Einzelprojektförderung für Freie Theaterschaffende erhielten
Caner Akdeniz: Triggerland / Geheimplan gegen Deutschland (AT)
„Triggerland“ ist ein immersives Theaterprojekt von Caner Akdeniz, das rechte Angstszenarien radikal umkehrt: Minderheiten haben die Macht übernommen, während die sogenannten „alten Deutschen“ Integrationsmaßnahmen, Wertekurse und Umerziehungsprogramme durchlaufen. Das Projekt konfrontiert sein Publikum mit einem Perspektivwechsel, der rassistische Narrative als Spiegel autoritärer Strukturen erfahrbar macht. In Form eines Parcours durch installative, performative und dokumentarische Räume entsteht ein intensiver Erfahrungsraum, der Macht, Identität und Zuschreibung neu verhandelt. Die Jury lobt den hohen künstlerischen Anspruch, die politische Klarheit und den Mut, mit dem Akdeniz gesellschaftliche Machtverhältnisse ins Theater bringt.
„Triggerland“ bietet marginalisierten Gruppen Raum zur Repräsentation und Ermächtigung und fordert das Publikum zu einer aktiven Auseinandersetzung heraus. Statt pädagogischer Belehrung zielt das Projekt auf eine emotional wirksame, konfrontative Erfahrung, die gesellschaftliche Debatten über Diskriminierung und Machtfragen ins Zentrum rückt. Die formale Umsetzung, die Nutzung von immersiven Formaten und die Verknüpfung von Dokumentation und Performance überzeugen die Jury. Aufgrund der inhaltlichen Schärfe und Relevanz sowie des künstlerischen Potenzials empfiehlt die Jury die Förderung des Projekts mit der Summe von 95.980 Euro.
Die Bairishe Geisha: kein tanz kein fest (AT)
Judith Huber und Eva Löbau, die seit Langem unter dem Namen Die Bairishe Geisha arbeiten, befassen sich in „kein tanz kein fest“ mit fehlenden Übergangsritualen. Das Projekt geht von der Beobachtung einer Ungleichheit aus: Einige lebenszeitliche Wendungen, wie die Hochzeit, werden rituell aufwändig gefeiert, andere, insbesondere im Leben von Frauen, prägende Momente überhaupt nicht. Es gibt beispielsweise kein Ritual für den ersten längeren Abschied eines Kindes, für die erste Menstruation oder für eine Brustamputation. Die szenische Präsentation des Projektes ist inspiriert durch Chantal Akermans Filmessay „Jeanne Dielman“. Parallel zur Theaterproduktion wird das Kollektiv in einem partizipativen Ansatz Bürger*innen dazu einladen, ein „Archiv der fehlenden Rituale“ aufzubauen. Die Jury bewertet das Konzept als sehr spannend und überzeugend. Sie empfiehlt die Förderung des Projektes in Höhe von 45.050 Euro.
Freie Bühne München e. V.: Der gute Mensch von Sezuan
Seit gut zwölf Jahren ist die Freie Bühne München mit ihrem Ensemble aus Schauspieler*innen mit und ohne Beeinträchtigung ein wesentlicher Bestandteil der hiesigen Theaterszene und praktiziert als Ausbildungsstätte sowohl für die eigenen Produktionen als auch das städtische Theater der Münchner Kammerspiele Nachwuchsförderung im professionellen Schauspiel. Als Basis ihrer nächsten Produktion dient das Parabel-Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht über die Unmöglichkeit, als guter Mensch zu leben, wobei die ursprünglichen Kernthemen um Fragen der Diskriminierung und Barrierefreiheit erweitert werden. Neben der bekannten Geschichte stehen die Fragen nach dem inklusiven Miteinander-Spielen auf der Bühne im Fokus. Erprobt werden sollen so die Spielweisen des epischen Theaters, verschränkt mit der Praxis inklusiven Arbeitens. Die Brecht’sche Theatertechnik der Verfremdung, das Heraustreten aus der Rolle, wird genutzt, um über das gemeinsame Spiel und inklusives Theater zu reflektieren. Gleichzeitig ist der Abend durch aufeinander abgestimmten Einsatz von Sound und Text auf mehreren Sinnesebenen erfahrbar und schafft durch Dolmetschen in Gebärdensprache sowie Audiodeskription zusätzliche Zugänge für ein inklusives Publikum. Diese Aspekte, die Aktualität des Stoffes und ein neuer Blick auf das epische Theater haben die Jury überzeugt, die sich für eine Förderung des Projekts in Höhe von 99.232,55 Euro ausspricht.
Christiane Huber: COSMO (AT)
Die Clubszene in München in den frühen 70er Jahren ist der Spielort dieser deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte. Das Stück ist angelehnt an einen tatsächlichen Kriminalfall. Der jüdische Nachtclubbesitzer Abraham Berger verschwand plötzlich und wurde Wochen später mit Gewichten an den Füßen im Chiemsee aufgefunden. Basierend auf dem Hörspiel „Unter uns“ von Dana von Suffrin wird Christiane Huber den Fall weitererzählen. Die Zuschauer*innen werden dazu in das Nachtclub-Leben der frühen 70er Jahre versetzt. Die Atmosphäre wird immer wieder durch Verhörszenen unterbrochen. Huber interessiert sich bei diesem Stoff auch für eine neue Normalität jüdischen Lebens im ‚Brückenjahrzent‘ zwischen der 1. und 2. Nachkriegsgeneration. „Zeigt sich hier das Psychogramm einer Generation Deutscher, die sich vom mörderischen Antisemitismus der Eltern befreit zu haben glaubt?“, fragt Huber in ihrem Projektentwurf. Die Jury war vom Stoff des Projektes und den Ideen zur Umsetzung überzeugt und empfiehlt die Förderung in Höhe von 80.000 Euro.
Lulu Obermayer: Königin(nen)
Lulu Obermayer arbeitet an der Schnittstelle von Performance, Oper, Theater und Choreographie. Mit „Königin(nen)“ plant sie den Beginn einer Performance-Reihe, die sich mit königlichen Familien vor dem Hintergrund der europäischen Kulturgeschichte auseinandersetzt. In den Fokus stellt Obermayer dabei die historische Entwicklung weiblicher Macht anhand von weiblichen Role Models an der Spitze von Machtstrukturen. Für Folge 1, die durch einen Parcours mehrerer Örtlichkeiten der Bayerischen Staatsoper führen soll, setzt sie gemeinsam mit dem Komponisten Roman Lemberg beim elisabethanischen Zeitalter an. Maria Stuart und Elisabeth I. sind Königinnen, Rivalinnen, politische Akteurinnen und Projektionsflächen religiöser, kultureller und gesellschaftlicher Konflikte. Obermayer versteht sie als symbolhafte Figuren, über die sich die Sichtbarkeit von Frauen in Machtpositionen künstlerisch abbilden lässt und betrachtet sie zunächst im Kontext von Repräsentationsritualen ihrer Zeit. Dann isoliert sie sie aus ihrem historischen Zusammenhang und verhandelt sie in dramatischer Form neu für die Gegenwart. Als Ausgangsmaterial dienen ihr historische Dokumente und Briefe, die zahlreichen literarischen Vorlagen, musikalischen Werke, Filmadaptionen und Inszenierungen aus Theater und Oper. Diesen stellt sie gegenwärtige Theorien zu Feminismus, Macht und staatlicher Repräsentation gegenüber. Aus dieser Konfrontation erwächst auf sprachlicher, musikalischer und bildnerischer Ebene eine collageartige Performance, aus der sich neue Perspektiven auf das Zusammenwirken von Geschlecht und Macht für das Hier und Jetzt herauskristallisieren. Die Jury empfiehlt für dieses Projekt eine Förderung in Höhe von 86.019,75 Euro.
Benjamin Truong: Ersatzverwandte (AT)
Benjamin Truongs Arbeiten in der Freien Szene Münchens befassen sich mit dem oftmals unterrepräsentierten Thema der viet-deutschen Geschichte. Das 2024 geförderte Projekt „Hörst du mich?“ erreichte hierbei ein für die Freie Szene neues Publikum. In „Ersatzverwandte (AT)“ sucht Truong nun den Anschluss an dieses Projekt und beschäftigt sich dafür mit den Verbindungen, die entstanden zwischen vietnamesischen Menschen nach deren Ankommen in Deutschland und deutschen Nachbar*innen, die sich ihrer annahmen. Über diese ‚Ersatz-Familienbande‘, die bis heute existieren, gibt es kaum Berichte und Statistiken. Die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen evoziert jedoch die wichtige Frage nach Identität(en) und Mehrfachzugehörigkeit. Auf Basis eines multiperspektivischen Textes möchte Truong daher diese Verbindungen theatral beleuchten und zugleich dokumentieren, bevor es zu spät für einen Austausch mit Zeitzeug*innen ist. Die Jury empfiehlt die Förderung dieses Antrags mit 75.571,90 Euro.
Lucy Wilke und Pawel Dudus: Scores That Keep Our Friendship Alive
Eine besondere Freundschaft erodiert. Persönliche Krisen, Süchte, Depressionen, toxische Beziehungen und seelische Zusammenbrüche vor dem Hintergrund bedrohlicher gesellschaftlicher Entwicklungen belasten sie so sehr, dass sie tiefe Risse bekommt. Mit dem Projektvorhaben „Scores That Keep Our Friendship Alive“ beziehen sich Akteur*innen Lucy Wilke und Pawel Dudus unmittelbar auf ihre Performance „Scores That Shaped Our Friendship“ von 2020, für die sie mit dem „Faust“-Theaterpreis prämiert und zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden. Sie war eine optimistische und verspielte Inszenierung ihrer innigen und zugleich von Freiheit geprägten Freundschaft; eine gelebte soziale Utopie jenseits von gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen. Fünf Jahre später beforschen sie die Ursachen ihrer tiefen Krise und wollen anhand performativer Tests neue „Scores“, die zur Heilung der persönlichen und gesellschaftlichen Wunden und zur Neuentdeckung ihrer Freundschaft beitragen, definieren. Dabei betrachten Wilke und Dudus in einer Gesellschaft, die Resilienz fordert, aber wenig Fürsorge bietet, Zärtlichkeit als eine Form des Widerstands. Mit Leichtigkeit, rebellischem Geist, schwarzem Humor, Punk, Kink und Pussypower setzen sie sich gemeinsam mit dem Publikum einem transformativen Performanceprozess aus. Ausgehend von ihrer persönlichen Freundschaftsgeschichte sollen Handlungs- und Haltungsstrategien für alle entwickelt werden: für ein selbstbestimmtes Leben in einer ins Wanken geratenen Welt. Die Jury empfiehlt, diese Produktion mit einer Summe von 65.000 Euro zu fördern.
Oliver Zahn: DISASTER DRILL (AT)
Der globale Klimawandel fördert bzw. evoziert die Zunahme von großen Naturkatastrophen. Obgleich also wichtige Themen unserer Zeit sind sie herausfordernd für das Theater, da sie kaum abbildbar sind. Eben dieser Herausforderung stellt sich Oliver Zahns Theaterprojekt „DISASTER DRILL (AT)“. Zahn möchte eine Erdbebenübung detailgenau im Theater passieren lassen, um Katastrophen auf der Bühne verhandeln zu können. Das in Zusammenarbeit mit Expert*innen ausgearbeitete Szenario sowie ein detailliertes Skript bilden so Ausgangspunkte einer Inszenierung, deren szenische Grundannahme ein Probealarm ist – die Simulation des Ernstfalls fällt so zusammen mit dem Ernstfall der Simulation. Die Jury unterstützt diese theatrale wie ästhetische Suche nach Darstellbarkeiten von Katastrophen und empfiehlt die Förderung von „DISASTER DRILL (AT)“ mit 38.000 Euro.
- 2025
Caner Akdeniz; Nihan Devecioğlu; Sabine Herrberg und Jochen Strodthoff GbR; Ruth Geiersberger; Theresa Hanich; Christiane Huber; Kastner-Delphine GbR; Karnik Gregorian und Bülent Kullukcu; Lulu Obermayer; Oliver Zahn - 2024
Oliver Exner; Freie Bühne München; Futur X GbR; Lena Gorelik; Verena Gremmer; Ines Hollinger, Lucy Wirth; Lulu Obermayer; Pandora Pop GbR; Gesche Piening - 2023
Freie Bühne München e.V.; Theresa Hanich; Sebastian Hirn; Caroline Kapp; Anna Kuzmenko, Anastasiya Shtemenko und Jan Struckmeier; David Moser; Keith King Mpunga; Lulu Obermayer; Julian Warner - 2022
Caner Akendiz, Michael Bischoff, Sabine Herrberg, Jochen Strodthoff, Burchhard Dabinnus, Freie Bühne München, Ruth Geiersberger, Molestia e.V., Kastner, Stefan Kastner, Jan Struckmeier, Lucy Wirth